Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
gerate, fluche ich vor mich hin. Nicks Frau Nancy hat nur eines mit meinem Vater gemeinsam: Sie legt großen Wert auf Pünktlichkeit.
*
Nancy öffnet die Tür in einem eleganten dunkelblauen Wickelkleid. Ihre Beine sind gewachst und leicht gebräunt, ihr blondes Haar fällt auf ihre knochigen Schultern. Mit einer Flasche Wein und Mitbringseln für die Kinder platze ich in den Flur.
»Die Mädchen sind schon im Bett. Es ist zu spät für eine Geschichte.«
Ich denke mir immer Gutenacht-Geschichten für sie aus.
»Darf ich ihnen wenigstens noch einen Kuss geben?«
»Ja, aber schnell.« Sie lächelt gezwungen.
Als ich an ihr vorbeihusche, erkenne ich in ihrem Gesicht eine leichte Missbilligung darüber, dass ich mich zum Essen nicht umgezogen habe. Für Nancy ist es wichtig, dass man sich zum Abendessen umzieht, um dem Tag ein »neues Kapitel hinzuzufügen«, wie sie sich auszudrücken pflegt.
»Schon gut«, sagt sie, als ich entschuldigend auf meine Jeans deute, »aber hast du nicht etwas vergessen?« Sie gibt mir einen vordergründig freundschaftlichen Klaps, hinter dem sich eigentlich ein Schlag verbirgt.
»Oh, entschuldige!« Ich schlüpfe aus den Schuhen, ehe ich die Treppe hinauflaufe, um Hannah und Matilda einen Gutenacht-Kuss zu geben.
Wenige Minuten später bin ich wieder bei Nancy in der Küche. Der Tisch ist mit makellos gebügelten weißen Leinenservietten und weißem Porzellan gedeckt.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, frage ich, ehe ich den köstlichen Duft lobe, den das Abendessen verströmt.
»Nein, nein, setz dich nur.«
Nancy öffnet die Kühlschranktür, die mit Fotos von den Kindern und ihren eigenen Kunstwerken behängt ist, und holt eine Flasche Weißwein heraus. Sie schenkt uns zwei Gläser ein und bemerkt dann, dass das Abendessen verkochen wird, wenn mein Bruder nicht bald nach Hause kommt. Nick ist Anwalt und auf Scheidungen spezialisiert.
»Kommt er immer so spät heim, Nancy?«, frage ich besorgt.
»Immer«, antwortet sie. »Er wohnt förmlich in seiner Scheißkanzlei.«
Während Nancy mir von den Dramen mit Hannahs Musiklehrerin berichtet – Hannah ist sieben, Matilda vier –, wandern meine Gedanken zu meiner Schwester Megan. Ich wünschte, sie wäre heute Abend hier. Ich denke noch immer oft an sie. Wäre sie wie mein Vater und Nicholas geworden – beides sind karrieresüchtige, erfolgreiche Anwälte – oder eher wie ich?
Ich höre einen Schlüssel im Schloss. Nancy hält inne und schaut auf ihre Uhr. Nick stürmt herein, wirft das Jackett über einen Stuhl, lockert die Krawatte, stellt seine Aktentasche auf den Küchentisch und entschuldigt sich bei mir, dass er zu spät kommt. Nancy greift nach der Aktentasche und fordert ihn auf, sein Jackett ordentlich aufzuhängen.
»Du hast doch hoffentlich an die Milch gedacht, oder?«
Sein erschrockenes Gesicht spricht Bände.
»Oh Nicholas. Jetzt haben wir nicht genug für das Frühstück der Kinder.«
Erst nachdem er sich entschuldigt hat, gestattet sie ihm, sie auf die Wange zu küssen.
»Ach, das ist nur ein Rezept aus dem Fernsehen«, lächelt Nancy, als sie uns perfekte Mini-Zwiebelkuchen als Vorspeise serviert.
Anschließend fragt sie mich nach meinem Liebesleben, so wie sie es immer tut. Ich gehe der Frage aus dem Weg, indem ich noch einmal die Kuchen lobe, doch Nancy lässt nicht locker. Sie hat große Stücke auf Ed gehalten und vermisst ihn bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten. Ed wusste von Anfang an, wie er mit Nancy umgehen musste. Er war ein Meister darin, Menschen richtig einzuschätzen, was ihm auch beruflich zu Erfolg verholfen hat.
»Nancy braucht viel Aufmerksamkeit«, hat er gesagt. »Und sie ist unsicher. Tief im Innern fleht sie nur so um Anerkennung und Bestätigung.«
Hör – endlich – auf – an – ihn – zu – denken!
Also erkläre ich Nancy lieber, dass sich im Augenblick nichts Besonderes bei mir tut, und füge hinzu, dass sich anscheinend alle attraktiven Single-Männer irgendwo verstecken. Ich verschweige bewusst, dass ich heute Morgen beim Hundespaziergang einem netten jungen Mann begegnet bin, der eine Mütze trug und mir irgendwie interessant erschien.
»Und sonst?«, mischt sich Nicholas ein, um das Thema zu wechseln. »Gibt es irgendetwas Neues?«
Immer wenn ich meinen Zwillingsbruder sehe, erschrecke ich. Wie ich ist er groß und hat dunkelbraunes Haar, doch in den letzten Jahren ist er deutlich gealtert, und seine blasse Haut ist ein deutliches Zeichen dafür, dass er zu
Weitere Kostenlose Bücher