Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
jetzt gleich mit den Hunden auf den Primrose Hill, und wenn wir oben sind, werden wir dir winken. Also sieh zu, dass du nach uns Ausschau hältst. Und falls du dir Sorgen um Gilly machst: Es geht ihr gut. Ich passe auf sie auf, genau wie Micky auf dich aufpasst.«
Guy und ich steigen tatsächlich auf den Hügel. Es ist früher Abend, und die Sonne neigt sich im Westen schon dem Horizont entgegen. Als wir den höchsten Punkt erreichen, sind nur noch ein paar vereinzelte Touristen anwesend, die die Informationstafel studieren. Wie versprochen winken wir Megan zu.
»Es muss schrecklich gewesen sein«, sagt Guy. »Sie war noch so klein, als sie starb.«
Ich nicke.
»Wir seid ihr damit fertig geworden?«
»Gar nicht.« Ich mache eine Pause. »Wir wussten, dass sie sterben würde, aber man kann sich darauf nicht vorbereiten. Es geht einfach nicht! Alle Strukturen lösten sich auf, unser Tagesablauf geriet aus den Fugen, und alles war plötzlich anders. Auch als Megan geboren wurde, hat sich viel verändert. Es war schwierig für meine Mutter, sich um ein Kind zu kümmern, das vollständig von ihr abhängig war. Unser gesamtes Leben drehte sich nur um Megan. Von ihr hing ab, wohin wir in die Ferien fuhren und was wir an den Wochenenden unternahmen. Aber ich liebte diese Sicherheit, genau zu wissen, dass wir fast jeden Sonntag in die Kirche und anschließend in den Zoo gingen.« Ich starre vor mich hin. »Nach Megans Tod haben Nicholas und ich dafür gebetet, dass Mum endlich wieder aus ihrem Bett aufsteht. Oder wenigstens an den Wochenenden etwas mit uns unternimmt. Dad hatte sich in seiner Arbeit vergraben. Er wollte nicht wahrhaben, dass die Familie auseinanderbrach. Wirhatten zwar ein Zuhause, aber es bestand irgendwie aus nichts mehr.« Ich breche ab. In meinen Augen stehen Tränen.
Vielleicht habe ich zu viel preisgegeben, aber gerührt bemerke ich, dass Guy mir aufmerksam und geduldig zugehört hat. Mit Ed habe ich eigentlich nie länger über Megan gesprochen. Er sagte immer, ich solle die Vergangenheit ruhen lassen.
»Und wie hast du als Kind deinen Sonntag verbracht?«, frage ich Guy, als wir den Hügel wieder hinunterschlendern.
»Den Sonntag? Das war für meinen Dad auf dem Bauernhof der einzig freie Tag in der Woche. Es gab einen Sonntagsbraten und, wenn wir Kinder sehr brav gewesen waren, auch noch einen leckeren Nachtisch.«
*
Zurück in Nummer 21 frage ich Guy, ob er zum Abendessen bleiben möchte. Ich habe beim Fischhändler in Primrose Hill frischen Tintenfisch erstanden.
»Gut, dass wir heute Abend niemanden mehr küssen müssen«, sagt er, während er mir mit hochgezogenen Augenbrauen beim Hacken der dritten Knoblauchzehe zuschaut.
Als der Tintenfisch in der Pfanne brutzelt, entkorkt Guy eine Flasche Wein und deckt den Tisch.
Mir fällt auf, dass ich genau das vermisse: mit jemandem zusammen Zeit zu verbringen. Der heutige Tag ist im Nu verflogen, weil ich ihn in Guys Gesellschaft völlig friedlich genießen konnte.
Vielleicht war es letztendlich auch das, was Ed und mir zum Verhängnis wurde. Wir hatten es einreißen lassen, zu viel Zeit getrennt voneinander verbracht. Eds Internet-Unternehmen expandierte, er war dabei, ein Büro in Singapur zu eröffnen, und daher ziemlich oft unterwegs. Ich glaubte ihm, wenn er mir erklärte, seine Distanziertheit käme vom unvermeidlichen Arbeitsstress, aber vielleicht war der Grund dafür in Wirklichkeit auch die Frage, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Warum habe ich die Anzeichen nie wahrgenommen?
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem Ed von einer Geschäftsreise zurückkam und völlig erschöpft ins Bett sank. Ich legte meine Zeitschrift beiseite und wandte mich ihm zu, aber er küsste mich nur flüchtig auf die Wange und sagte, er sei müde.
Ich hätte intensiver nachhaken sollen. Warum habe ich das nur nie getan?
Ich dachte daran, wie Mum mir erzählt hatte, ihre Verlobung mit Dad sei die glücklichste Zeit ihres Lebens gewesen, und selbst diese Beziehung war nicht gerade wie ein Märchen zu Ende gegangen. Vielleicht hatte ich ja auch nur gedacht, ich sei verliebt, weil ich verzweifelt das zustande bringen wollte, was meinen Eltern nicht gelungen war: eine glückliche Zukunft.
Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich keinen meiner Freunde je wirklich leidenschaftlich geliebt. Auch Edward nicht. Ich war gern mit ihm zusammen, aber inzwischen wird mir klar, dass ich mich an die Erinnerungen daran klammerte, wie unsere Beziehung zu
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