Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
wieder voneinander befreien. Ich spüre, dass Guy sich die gleiche Frage stellt wie ich: Was ist bloß in uns gefahren?
»Lass uns eine Spritztour machen«, sagt er, um die Situation zu entkrampfen. »Ich fahre dich ein bisschen herum.«
*
»Ist dir schon einmal aufgefallen, dass es in London keinen Horizont gibt?«, fragt Guy, als wir über die Lambeth Bridge fahren. »Manchmal, wenn ich müde bin, aber nicht schlafen kann, fahre ich hier herum. Ich liebe das Embankment bei Nacht, wenn die Brücken im Licht leuchten. Der Anblick erinnert mich daran, warum Flora und ich noch immer hier wohnen.«
»Wann kommt sie zurück?«
»Jetzt sind es noch etwa fünf Wochen.«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Bei einem Charity-Tennisturnier. Sie trug so ein süßes Faltenröckchen, und ich konnte kein Auge von ihr wenden.«
»Von ihren Beinen meinst du wohl.«
»Nein, von ihr. Obwohl sie wirklich schöne Beine hat. Mein Partner im Doppel warf mir vor, ich sei unkonzentriert.« Er lächelte. »Wir haben haushoch verloren, aber danach habe ich mich mit ihr verabredet.«
»Und dann?«
»Wir verbrachten ein paar wunderbare Monate zusammen. Eines Tages fragte sie mich, ob ich mit ihr nach New York fliegen würde. Sie hätte dort Freunde, die ich kennenlernen sollte.«
»Und?« Ich spüre, dass mehr hinter dieser Geschichte steckt.
»Ich war im Reisebüro, um die Flüge zu buchen. Plötzlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass Flora und ich, wenn ich das hier durchzog, vermutlich eines Tages heiraten würden. Ich kann es nicht erklären, aber es war irgendwie mehr als nur ein Urlaub. Ich habe also gebucht und bin wie ein Idiot aus dem Reisebüro gestürmt.«
Als ich mir das bildlich vorstelle, lache ich.
»Ich muss immer noch daran denken«, fährt er fort.
»Woran?«
»Was geschehen wäre, wenn ich nicht mit nach New York gegangen wäre. Ich weiß nicht, ob wir dann überhaupt noch zusammen wären. Keine Ahnung«, fügt er hastig hinzu, vermutlich, weil er befürchtet, illoyal zu klingen. »Vielleicht ja doch.«
»Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen.«
Ich blicke über den nächtlichen Fluss hinweg und frage mich, ob ich mich wirklich darauf freue. Wir sagen so oft Dinge, die wir nicht so meinen; die Wahrheit verbirgt sich gern unter einer dicken Schicht von höflichen Floskeln. Tatsächlich ist es doch so, dass meine Freundschaft mit Guy sich unvermeidlich verändern wird, sobald Flora hier wieder auftaucht.
Ich werfe ihm einen Seitenblick zu, und er lächelt und fragt mich, woran ich denke.
Ich denke daran, wie er heute eine Kerze angezündet und mit meiner Schwester Megan gesprochen hat.
Der heutige Tag war etwas ganz Besonderes, und ich werde mich sicher immer gern an ihn erinnern. Er war wie ein Goldstück, das man zufällig auf dem Grund des Ozeans findet. Ich denke daran, dass ich dank Ruskin und meiner Spaziergänge im Park einen sehr außergewöhnlichen und bezaubernden Menschen getroffen habe.
»Heute war ein wunderschöner Tag«, sage ich. »Vielen Dank dafür.«
21
»Nabend«, begrüßt mich Jack.
Mein Kopf steckt gerade im Kühlschrank, weil ich auf der Suche nach etwas Essbarem für das Abendbrot bin.
»Hi, Ruskin.« Jack streichelt Ruskin, aber mein Kleiner hat sich noch nicht wirklich an meinen Mitbewohner gewöhnt.
Oft ertappe ich ihn beim Herumschnüffeln in Jacks Schlafzimmer; manchmal erdreistet er sich sogar, sich auf Jacks Bett zu legen, um zu demonstrieren, wer hier der wahre Herr im Haus ist.
Jack wohnt inzwischen bereits drei Wochen bei mir, aber bisher sind wir uns mehr oder weniger nur im Vorübergehen begegnet. Trotzdem ist mir seine Anwesenheit jetzt vertrauter. Morgens rieche ich sein Aftershave im Bad und den frischen Kaffeeduft, der aus der Küche dringt. Wir sind in unserem Zusammenleben nicht mehr so befangen wie zu Beginn: Die Schlafzimmertüren sind nicht mehr hermetisch abgeriegelt, und ich lasse nicht mehr den Wasserhahn laufen, wenn ich auf die Toilette muss.
Wenn ich spätabends im Bett liege, finde ich das Geräusch, das Jacks Schlüssel im Schloss macht, sogar sehr tröstlich. Manchmal stelle ich mir vor, er würde an meine Schlafzimmertür klopfen, sich neben mich legen, mein Gesicht in die Hände nehmen und mich küssen. Während der ruhigen Zeiten im Geschäft ertappe ich mich bei Tagträumen und der unrealistischen Hoffnung, dass unsere kleinen Kollisionen auf dem Treppenabsatz oder unter dem Küchentisch eines Tages zu etwas weniger
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