Kein Öl, Moses
eine ganz gewöhnliche Geschichte, wie sie sich in jedem von Juden bewohnten Häuserblock zutragen kann. Die Wende zum Ungewöhnlichen trat ein, als die Oberniks einen Hund erwarben. Er hieß Aristobulos und war von unbestimmter Rasse, obwohl er angeblich einer hochklassigen skandinavischen Zucht entstammte. Die Oberniks hüteten ihn wie einen Augapfel und entließen ihn nur des Nachts ins Freie, offenbar aus Furcht vor feindlichen Attacken - eine nicht ganz unbegründete Furcht, denn das Bellen des Aristobulos war durchaus geeignet (und wohl auch darauf gerichtet), einen Nachbarn um den Verstand zu bringen, zumal wenn es sich bei diesem Nachbarn um einen Musiklehrer mit absolutem Gehör handelte.
Aristobulos stimmte sein keifendes, infernalisch durchdringendes Gebell zu den widerwärtigsten Stunden an: um 5.15 Uhr am Morgen, zwischen 14 und 16 Uhr (also zu einer Zeit, da sich Herr Meyer seinem Nachmittagsschläfchen zu widmen liebte), dann wieder gegen Mitternacht und um 3.30 Uhr. Natürlich bellte er auch zwischendurch, aber die obengenannten waren seine Hauptbellzeiten. Bei Nacht verlegte er sie in den Garten.
Nach ungefähr einer Woche, während des üblichen Nachmittagskonzerts, trat Frau Meyer vors Haus und ließ in Richtung Obernik die Verlautbarung ergehen:
»Sorgen Sie dafür, daß Ihr Hund zu bellen aufhört, sonst kann ich für nichts garantieren. Mein Mann ist imstande und erschießt ihn.«
Da man wußte, daß Samuel Meyer eine Jagdflinte besaß, nahm sich Frau Obernik die Warnung zu Herzen und sprach fortan, sowie Aristobulos zu bellen begann, mit besänftigender Stimme auf ihn ein:
»Ruhig, Aristobulos! Du störst Herrn Meyer. Schäm dich. Hör auf zu bellen. Kusch!«
Aristobulos kuschte in keiner Weise. Im Gegenteil, er steigerte sein Gekläff, als wollte er für die Freiheit des Bellens demonstrieren.
Meyer wandte sich an seinen Anwalt, um gesetzlichen Schutz anzufordern. Zu seiner Erbitterung mußte er erfahren, daß das Halten von Hunden zu den unveräußerlichen Bürgerrechten gehört und daß einem Hund von Gesetzes wegen nicht vorgeschrieben werden kann, wie und wann er zu bellen hat.
So griff denn Samuel Meyer eines Nachts zum Jagdgewehr und setzte sich in seinen Garten, wo er, von einem Strauch gedeckt, auf das Erscheinen des Hundes Aristobulos wartete. Aristobulos erschien nicht. Er bellte zwar genau zu den gewohnten Stunden (0.00, 3.30, 5.15), aber er bellte im Haus. Von Zeit zu Zeit glaubte Meyer ihn an der Türe kratzen und jämmerlich winseln zu hören, ohne daß sich die Türe geöffnet hätte. Entweder ahnte Obernik etwas von der lauernden Gefahr oder er tat's aus purer Grausamkeit.
Als sich an diesem rätselhaften Ablauf auch in den folgenden zwei Nächten nichts änderte, entschloß sich Meyer, der dem Geheimnis auf die Spur kommen wollte, zu einem riskanten Schritt. Er schlich in der Dunkelheit an das Oberniksche Schlafgemach heran, spähte aus schrägem Winkel vorsichtig durchs halb geöffnete Fenster — und wollte seinen Augen nicht trauen. Jehoschua Obernik lag mit gelangweiltem Gesichtsausdruck im Bett und bellte. Neben ihm lag Frau Obernik und sagte von Zeit zu Zeit ohne besondere Anteilnahme:
»Ruhig, Aristobulos. Du mußt Herrn Meyer schlafen lassen. Kusch.«
Samuel Meyer war hart daran, sein Jagdgewehr in Anschlag zu bringen, besann sich jedoch und ging auf die nächste Polizeistube, wo er dem dienstschlafenden Beamten die ganze Geschichte erzählte. Die Antwort des Beamten lautete:
»Na und?«
»Was heißt hier, na und?!« brüllte Meyer. »Der Kerl ruiniert mich! Ich kann seit Wochen nicht schlafen! Außerdem schädigt er meine Gehörnerven, die ich zur Berufsausübung brauche!«
»Bedaure«, bedauerte das Amtsorgan. »Gegen Lautsprecher nach Mitternacht kann ich einschreiten - gegen jemanden, der bellt, nicht. Oder nur dann, wenn er gleichzeitig eine Schmieraktion unternimmt. Außerdem fällt diese Angelegenheit in die Kompetenz der Stadtverwaltung. «
Am nächsten Morgen, nachdem Aristobulos ihn pünktlich um 5 Uhr 15 geweckt hatte, suchte Samuel Meyer abermals seinen Rechtsberater auf und informierte ihn, daß Jehoschua Obernik sich sozusagen als Selbsthund zu Hause hielt. Der Anwalt zog seine Gesetzbücher zu Rate und schüttelte den Kopf:
»Im britschen Mandatsgesetz kann ich nichts finden, was die Nachahmung von Tierstimmen verbieten würde. Auch die ottomanischen Gesetze, die ja auf zahlreichen Gebieten unseres öffentlichen Lebens noch in Kraft
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