Kein Opfer ist vergessen
war.«
»Bei Allen waren Blutspuren ausschlaggebend.«
»Was war mit Zeugen?«
»Gab keine. Beide Angeklagten hatten Pflichtverteidiger.«
»Und was ist aus den beiden geworden?«
»Einer hat lebenslänglich gekriegt, der andere wurde zum Tode verurteilt. Ich könnte dir ihre Namen nennen, aber sie sind nicht relevant.«
»Verdammt noch mal, natürlich sind sie relevant. Wir können mit ihnen reden. Wenn wir ihre Unschuld beweisen und sie mit dem Fall Wingate verbinden –«
»Sie wurden im Gefängnis umgebracht. Da hatten sie nicht mal ein Jahr lang gesessen. Mein Prof kennt einen Typ in der Justizbehörde, der mir nähere Einzelheiten geben könnte.«
Havens drehte den Bildschirm zu mir herum. Ich las, dass ein Häftling namens Michael Laramore mit Verpackungsdraht erwürgt in seiner Zelle gefunden wurde. Einen anderen, mit Namen Jason Tyson, entdeckte man am Gefängnisladen von Stateville. Ihm hatte jemand fünf Zimmermannsnägel in die Stirn geschlagen. Zusammen mit James Harrison ergab das drei Verurteilungen und drei Leichen.
»Unfassbar«, sagte ich.
»Da sagst du was«, meinte Havens gelassen. »Ist noch Kaffee übrig?«
Wir gingen wieder in die Küche. Havens bestand darauf, eine frische Kanne aufzubrühen. Ich zeigte ihm, wo alles war. Dann kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und sah mir den Rest seines Materials an. Kein Wunder, dass Havens in Chicago bei den Juristen die Nummer eins gewesen war. Sarah und ich hatten aus meinen halben Erinnerungen zehn Seiten zusammengestoppelt, während unser Kommilitone den Fall Wingate auf schlüssige Weise mit zwei anderen Morden verknüpft, Hintergrundmaterial gesammelt und die wesentlichen Punkte in kurzen Memos zusammengefasst hatte. Als Havens sich wieder zu mir gesellte, hatte er eine Tasse frischen Kaffee in der Hand. Ich ging durch den Autopsie-Bericht über Billy Scranton. Unter ihm lag ein erster Polizeibericht. Die Akte Allen enthielt ähnliche Unterlagen.
»Wie bist du an die ganzen Informationen gekommen?«, fragte ich.
»Na, über V i CAP . Das Material über einen Mordfall kannst du auch ohne offiziellen Antrag einsehen. Schau dir das an.« Havens kramte zwei Fotoabzüge aus einem Karton hervor und legte sie nebeneinander auf den Tisch.
»Was sind das für Verletzungen?«, erkundigte ich mich.
»Bisswunden. Beide Jungen wurden während des Übergriffs gebissen.«
Ich starrte auf die hellen Male auf ihrer Haut. »Auch bei Wingate hieß es, dass er möglicherweise gebissen wurde.«
»Weiß ich.« Havens warf die Fotos auf die anderen Unterlagen.
»Hätte man das Muster nicht erkennen müssen?«, sagte ich. »Ich meine, damals.«
»Nicht unbedingt. Die Verbrechen haben über drei Jahre verteilt stattgefunden. Und zu der Zeit hatten die örtlichen Polizeistellen noch keinen Zugang zu V i CAP .«
Havens trank einen Schluck und verzog das Gesicht. »Wie alt ist das Kaffeepulver eigentlich?«
»Scheiß auf den Kaffee. Sag mir lieber, was wir jetzt mit diesem ganzen Zeug anfangen.«
»Wir können einen Antrag auf Einsicht in das Beweismaterial der beiden Fälle stellen. Allerdings möchte ich wetten, dass alles wie bei Wingate bereinigt worden ist.«
»Von wem?«
»Von dem, der hinter der Vertuschung steckt.« Havens setzte sich an den Tisch. »Ich habe darüber nachgedacht.«
Ich deutete auf den Stapel Unterlagen. »Das sieht man.«
»Bist du auch der Meinung, dass die drei Jungen von ein und demselben Täter umgebracht worden sind?«
»Bin ich.«
»Und dass derjenige nicht mehr aktiv und vermutlich sogar tot ist?«
»Wingates Fall liegt etwa fünfzehn Jahre zurück. Der Täter muss nicht tot sein, aber vielleicht ist er nicht mehr aktiv.«
»Mein Punkt war eher, dass noch jemand frei herumläuft, der drei Männer übelst gelinkt hat und damit durchgekommen ist. Ich tippe auf einen Cop.«
»Und wer soll das sein? Schwebt dir da schon jemand vor?«
»Fick dich. Wir schauen einfach, wohin uns das Material führt.«
Ich betrachtete die Mappen. Billy Scranton sah mich an. Ein Junge, der im Alter von dreizehn Jahren ermordet wurde.
»Und um den Jungenmörder kümmern wir uns nicht mehr?«
»Wenn wir etwas über ihn finden, gehen wir der Sache natürlich nach. Aber im Moment konzentrieren wir uns auf das, was wir wissen. Und das ist, dass irgendjemand im Cook County die Angewohnheit hat, Unschuldige zu linken und in die Todeszelle zu verfrachten.«
»Hast du Sarah von deinen Theorien erzählt?«, fragte ich.
»In groben
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