Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
konnte er die Zuschauer trotzdem hören, und wenn ein Aufschrei durch die Menge ging, ein paar Sekunden später gefolgt von der blechernen Ansage des Sprechers, »So ist das eben manchmal«, dann wusste er, dass ein Teilnehmer abgeworfen worden war. Er war als Vierzehnter dran. Die Ritte dauerten zwar nur mehrere Sekunden, dazwi schen aber gab es meistens eine Pause von einigen Minuten. In einer Viertelstunde würde er allmählich losgehen müssen, und sei es nur, um seine Nervosität nicht ausufern zu lassen.
Er wollte nicht hier sein.
Der Gedanke kam mit unerwarteter Klarheit, obwohl Luke es tief im Inneren die ganze Zeit gewusst hatte. Diese unerschütterliche Überzeugung gab ihm das Gefühl, der Boden unter seinen Füßen habe sich gerade verschoben. Er war nicht bereit. Vielleicht nie mehr.
Dennoch machte er sich fünfzehn Minuten später langsam auf den Weg in die Arena.
M ehr als alles andere war es der Geruch, der ihn in die Lage versetzte, weiterzumachen. Er war so vertraut und löste Reaktionen aus, die sich im Laufe der Jahre verselbst ständigt hatten. Die Welt verdichtete sich. Luke blendete die Zuschauer und den Sprecher aus und konzentrierte sich auf die jungen Cowboys, die ihm halfen, sich bereit zu machen. Seile wurden straff gezogen. Er schob die Halteschlinge hin und her, bis sie sich in seiner Hand genau richtig anfühlte. Schließlich setzte er sich mittig auf den Bullen, wartete noch einen Sekundenbruchteil ab, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, und nickte dann dem Mann am Gatter zu.
»Los.«
Stir Crazy stürmte mit einem schwachen Aufbäumen hinaus und sprang, ehe er sich scharf nach rechts drehte, mit allen vieren in die Luft. Das hatte Luke vorausgeahnt und hielt sich tief auf seinem Rücken, sodass er das Gleichgewicht nicht verlor, als Stir Crazy noch zwei Bocksprünge vollführte und sich dann im Kreis zu drehen begann.
Instinktiv passte sich Luke allem an, und sobald der Summton erklang, griff er mit der freien Hand nach unten und löste die Schlinge. Er sprang hinunter, landete auf beiden Füßen und rannte zum Geländer. Bevor der Bulle auch nur zu buckeln aufgehört hatte, war er in Sicherheit.
Das Publikum jubelte, und der Sprecher erinnerte daran, dass Luke einmal den dritten Platz in der Gesamtwertung erreicht hatte. Er zog den Hut und winkte damit der Menge zu, dann drehte er sich um und wanderte zu seinem Pick-up.
Auf dem Weg kehrten die Kopfschmerzen mit quälender Intensität zurück.
I n der zweiten Runde bekam er einen Bullen namens Candyland. Luke stand zu dem Zeitpunkt auf Rang vier.
Wieder absolvierte er die Vorbereitungen wie auf Auto pilot, die Welt schrumpfte in seiner Wahrnehmung auf einen winzigen Ausschnitt zusammen. Ein bösartigeres Tier dieses Mal. Angeberischer. Während des Ritts hörte er die Zuschauer ihren Beifall brüllen. Er hielt durch und entkam erneut aus der Arena, während der Bulle noch seinen Wutanfall austobte.
Mit der Wertung aus diesem Ritt schob er sich auf Platz zwei vor.
Die nächste Stunde verbrachte er hinter dem Lenkrad seines Wagens. Sein Kopf pochte mit jedem Herzschlag. Er schluckte einige Ibuprofen, aber sie linderten die Schmerzen kaum. Er fragte sich, ob sein Gehirn gerade anschwoll, und versuchte nicht daran zu denken, was passieren konnte, wenn er abgeworfen wurde.
M it seinem letzten Ritt hatte Luke die Möglichkeit, zu gewinnen. Allerdings hatte einer der anderen Finalisten kurz vorher die höchste Wertung des Tages erzielt.
In der Startbox war er nicht mehr nervös. Nicht, weil er einen plötzlichen Anfall von Selbstvertrauen erlebte, sondern weil er von den Schmerzen und den Tabletten so müde war, dass ihm mittlerweile alles gleichgültig schien.
Er wollte es einfach nur hinter sich bringen. Was passieren würde, würde eben passieren.
Das Gatter schwang auf. Es war ein guter Bulle, auch nicht so durchtrieben wie der zweite. Schwieriger als der erste allerdings, und das spiegelte sich in seiner Punktwertung.
Der Wettkampf würde sich also erst durch die Leistung des bisher Führenden bei seinem letzten Ritt entscheiden. Aber der verlor das Gleichgewicht schon früh und landete auf der Erde.
Obwohl Luke nur als Zweiter in die dritte Runde gegan gen war, gewann er den Gesamtwettbewerb. Nach dem ersten Rodeo der Saison lag er also auf dem ersten Platz, genau da, wo er sein musste.
Er holte sich sein Preisgeld ab und schickte sowohl seiner Mutter als auch Sophia eine SMS . Doch als er sich auf
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