Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

verspürt, und seitdem waren die schwarzen Gedanken nur noch schwärzer geworden, ein Flüstern in seinem Kopf, sich schnellstens in den Pick-up zu setzen und nach Hause zu fahren.
    Bevor es zu spät war.
    So hatte er sich weder in Pensacola noch in Macon gefühlt. Gut, an diesen beiden Rodeos hatte er auch nicht teilnehmen wollen, aber das lag hauptsächlich an seiner generellen Unsicherheit, ob er für die Tour bereit war. Die Beklemmung, die er jetzt empfand, war anders.
    Er fragte sich, ob Big Ugly Critter sie spüren konnte.
    Der Bulle war hier, in Florence, South Carolina, was merkwürdig war. Er gehörte nicht hier in die Vorrunde, er gehörte zu den schweren Jungs, bei denen er mit Sicherheit gute Chancen hatte, erneut zum Bullen des Jahres gewählt zu werden. Luke verstand nicht, warum der Besitzer eingewilligt hatte, ihn zu den unwichtigeren Wettkämpfen zu schicken. Sehr wahrscheinlich hatte der Veranstalter ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte, in Verbindung mit einem der Autohändler in der Stadt. So etwas wurde immer gängiger auf der Tour, Werbeaktionen im Stil von Wenn du den schaffst, fährst du in einem neuen Pick-up davon! Das Publikum liebte solche zusätzlichen Anreize zwar, Luke aber hätte mit Freuden darauf verzichtet. Er fühlte sich nicht annähernd bereit, diesen Bullen noch einmal zu reiten, genauso wenig wie höchstwahrscheinlich jeder andere Teilnehmer. Das Problem dabei war nicht das Reiten selbst. Auch nicht die Gefahr, abgeworfen zu werden. Sondern wie Big Ugly Critter möglicherweise hinterher reagieren würde.
    Luke beobachtete ihn fast eine Stunde lang und dachte: Dieser Bulle dürfte nicht hier sein.
    Und er auch nicht.
    D er Wettkampf begann pünktlich, und die Sonne stand schon hoch genug, um die Luft leicht anzuwärmen. Die Zuschauer auf den Tribünen trugen dennoch Jacken und Handschuhe, und die Schlangen vor den Heißgetränken reichten fast bis zum Eingang. Wie üblich blieb Luke in seinem Wagen, die Heizung voll aufgedreht. Um ihn he rum standen Dutzende Pick-ups im Leerlauf, deren Besitzer das Gleiche taten.
    Nur ein Mal verließ er das Auto, um sich zusammen mit einigen anderen Reitern Trey Millers Versuch auf Big Ugly Critter anzusehen. Sobald sich die Startbox öffnete, senkte der Bulle den Kopf und vollführte einen verdrehten Bock sprung. Miller war völlig chancenlos. Als er landete, drehte sich der Bulle um, genau wie bei Luke damals, und atta ckierte ihn mit gesenkten Hörnern. Zum Glück erreichte Miller rechtzeitig die Umzäunung und konnte sich in Sicherheit bringen.
    Als sei ihm bewusst, wie viele Menschen ihn beobachteten, blieb das Tier unvermittelt stehen und schnaubte heftig. Es starrte Miller nach, und durch die kalte Luft sah es aus, als käme Rauch aus den Nüstern.
    Luke hatte Raptor gezogen, einen jungen Bullen, der noch nicht lange an der Tour teilnahm. Er galt als künftiger Star, und er enttäuschte nicht. Er drehte sich und sprang und schlug aus, doch Luke fühlte sich merkwürdig sicher, und am Ende seines Ritts bekam er seine bisher höchste Wertung der Saison. Nachdem er heruntergesprungen war, beachtete ihn der Bulle – ganz anders als Big Ugly Critter – überhaupt nicht mehr.
    A n diesem dritten Rodeo der Saison nahmen mehr Reiter teil, wodurch die Wartezeiten deutlich länger waren. Als zweiten Bullen bekam Luke Locomotive zugeteilt, und er erhielt zwar nicht so viele Punkte wie beim ersten, blieb aber in Führung.
    Fünf Teilnehmer später war Jake Harris an der Reihe mit Big Ugly Critter. Der Ritt dauerte nicht lange, aber Harris hatte, je nach Betrachtungsweise, mehr oder weniger Glück als Miller. Er schaffte es in die Mitte der Arena, ehe er abgeworfen wurde, und wieder drehte sich Big Ugly Critter um und griff an. Ein jüngerer Reiter hätte in der Klemme gesteckt, Harris allerdings war ein alter Hase und schaffte es, im letzten Moment aus dem Weg zu hechten, sodass ihn die Hörner um Zentimeter verfehlten. Zwei Rodeo-Clowns sprangen in die Arena, um den Bullen abzulenken, was Harris die nötige Pause verschaffte, um den Zaun zu erreichen. Er sprang am Geländer hoch und warf im letzten Moment die Beine über die Stange, als das wütende Tier heranstürmte und ihn aufspießen wollte.
    Daraufhin visierte der Bulle die Clowns an, die noch in der Arena waren. Einer schaffte es gerade eben über den Zaun, der andere musste in eines der Fässer springen. Big Ugly Critter stürzte sich darauf, wütend, dass seine eigent