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Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Titel: Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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unsere Geschichte genau das Ende bekommen wird, das Ruth sich gewünscht hätte.
    D ie Sonne steigt höher, und jede Faser meines Körpers schmerzt. Meine Kehle ist ausgedörrt, und ich möchte nur noch die Augen schließen und langsam dahinschwinden.
    Doch Ruth lässt mich nicht. In ihrem Blick liegt eine Eindringlichkeit, die mich zwingt, sie anzusehen.
    »Es geht dir jetzt schlechter«, sagt sie.
    »Ich bin nur müde«, murmle ich.
    »Ja, aber deine Zeit ist immer noch nicht gekommen. Du musst mir noch mehr erzählen.«
    Ich kann sie kaum verstehen. »Warum?«
    »Weil es unsere Geschichte ist«, sagt sie. »Und ich hören möchte, was mit dir geschehen ist.«
    Wieder dreht sich alles in meinem Kopf. Die Gesichtshälfte, die auf dem Lenkrad liegt, tut weh, und mir fällt auf, dass mein gebrochener Arm grotesk geschwollen ist. Er hat sich lila gefärbt, und meine Finger sehen aus wie Würste.
    »Du weißt, wie es ausgeht.«
    »Ich möchte es hören. In deinen Worten.«
    »Nein.«
    »Nach der Schiwa setzte deine Depression ein«, fährt sie fort, ohne mich zu beachten. »Du warst sehr einsam. Das tut mir so leid.«
    Sie klingt jetzt traurig, und ich schließe die Augen. »Ich konnte nichts dagegen machen«, sage ich. »Du hast mir gefehlt.«
    Sie schweigt kurz, denn sie weiß, dass ich ihr ausweiche.
    »Sieh mich an, Ira. Sag mir, was geschehen ist.«
    »Ich möchte nicht darüber sprechen.«
    »Aber warum nicht?«
    Mein röchelnder Atem hallt durch den Wagen, während ich nach den richtigen Worten suche. »Weil«, sage ich schließlich, »ich mich schäme.«
    »Für das, was du getan hast.«
    Sie kennt die Wahrheit, und ich nicke. Ich habe Angst, dass sie schlecht von mir denkt. Nach einer Weile seufzt sie.
    »Ich war sehr besorgt um dich. Nach der Schiwa, als alle wieder fort waren, hast du einfach nichts mehr gegessen.«
    »Ich hatte keinen Hunger.«
    »Das stimmt nicht. Du hattest ständig Hunger, du hast ihn absichtlich ignoriert.«
    »Das ist doch jetzt nicht mehr wichtig«, sage ich stockend.
    »Ich möchte die Wahrheit von dir hören.«
    »Ich wollte bei dir sein.«
    »Aber was heißt das?«
    Ich bin zu müde zum Streiten und schlage endlich die Augen auf. »Es heißt, dass ich versucht habe, zu sterben.«
    E s war die Stille. Die Stille, die ich heute noch erlebe, eine Stille, die sich ausbreitete, nachdem die anderen Trauernden gegangen waren. Damals war ich noch nicht daran gewöhnt. Sie war bedrückend, erstickend – so lautlos, dass sie nach und nach zu einem Dröhnen wurde, das alles andere übertönte. Und langsam, aber sicher machte sie mich vollkommen gleichgültig.
    Erschöpfung und Gewohnheit verschworen sich noch zusätzlich gegen mich. Beim Frühstück holte ich zwei Kaffeetassen aus dem Schrank statt nur einer, und meine Kehle zog sich zusammen, wenn ich die überflüssige zurückstellte. Am Nachmittag rief ich laut, ich ginge zum Briefkasten, nur um festzustellen, dass niemand da war, der mir antworten konnte. Im Magen spürte ich einen ständigen Druck, schon die Vorstellung, etwas zu kochen, was ich allein würde essen müssen, war unerträglich. Es vergingen ganze Tage, an denen ich überhaupt nichts zu mir nahm.
    Ich bin kein Arzt. Ich weiß nicht, ob die Depression klinisch oder eine normale Begleiterscheinung der Trauer war, aber die Folge war dieselbe. Ich sah keinen Sinn darin, weiterzuleben. Ich wollte nicht weiterleben. Aber ich war zu feige, um konkret etwas zu unternehmen. Also verweigerte ich nur weitgehend die Nahrungsaufnahme, und der Effekt war derselbe. Ich magerte ab und wurde immer schwächer, mein Weg war vorgezeichnet, und Stück für Stück gerieten meine Erinnerungen durcheinander. Zu mer ken, dass ich Ruth erneut verlor, machte alles noch schlimmer, und bald schon aß ich überhaupt nichts mehr. Binnen Kurzem verschwanden unsere gemeinsam verbrachten Som mer aus meinem Gedächtnis, und ich sah endgültig keinen Grund mehr, mich gegen das Unvermeidliche zu wehren. Ich verbrachte den Großteil der Zeit im Bett und starrte blicklos an die Decke, Vergangenheit und Zukunft existierten nicht mehr.
    » I ch glaube nicht, dass das stimmt«, sagt sie. »Du sagst, wegen deiner Depression hast du nichts gegessen. Du sagst, weil dein Gedächtnis versagte, hast du nichts gegessen. Aber ich glaube, es war umgekehrt, du konntest dich nicht erinnern, weil du nichts gegessen hast. Und deshalb fehlte dir auch die Kraft, gegen die Depression anzukämpfen.«
    »Ich war alt. Meine Kraft

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