Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
anderen Mann heiraten sollen«, sage ich kaum hörbar.
Sie schüttelt den Kopf, und mit ihrer großen Liebenswürdigkeit, die mich an unser gemeinsames Leben erinnert, rutscht sie näher zu mir. Zärtlich streicht sie mit dem Finger über mein Kinn und küsst mich dann auf den Kopf.
»Ich hätte nie einen anderen nehmen können«, sagt sie. »Und wir haben genug darüber gesprochen. Du musst dich jetzt ausruhen. Du musst schlafen.«
»Nein.« Ich versuche, den Kopf zu schütteln, aber es geht nicht, der Schmerz macht es unmöglich. »Ich will wach bleiben. Ich will bei dir sein.«
»Keine Sorge. Ich bin hier, wenn du aufwachst.«
»Aber vorhin warst du fort.«
»Ich war nicht fort. Ich war hier und werde immer hier sein.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«
Sie küsst mich noch einmal, ehe sie antwortet.
»Weil«, sagt sie mit zärtlicher Stimme, »ich immer bei dir bin, Ira.«
KAPITEL 6
Luke
Aus dem Bett zu kommen war schmerzhaft gewesen, und als Luke nun die Hand nach oben streckte, um Pferd den Hals und Widerrist zu bürsten, protestierte sein Rücken vehement. Das Ibuprofen hatte die heftigen Beschwerden gelindert, dennoch fiel es ihm schwer, den Arm weiter als auf Schulterhöhe zu heben. Als er bei Tagesanbruch nach den Rindern sah, hatte er kaum den Kopf zur Seite drehen können, weshalb er froh war, dass José ihm half.
Er hängte die Bürste auf, schüttete etwas Hafer für Pferd in einen Eimer und machte sich dann auf den Weg zum großen Wohnhaus. Er wusste, dass es noch ein bis zwei Tage dauern würde, bis er sich vollständig erholt hatte. Schmerzen und Verspannungen waren normal nach einem Ritt, und er hatte wahrlich schon Schlimmeres erlebt. Die Frage war nicht, ob ein Bullenreiter sich verletzte, sondern eher wann und wie schwer . Im Laufe der Jahre hatte sich Luke, die Sache mit Big Ugly Critter nicht mitgezählt, zweimal die Rippen gebrochen, einmal war seine Lunge kollabiert, außerdem hatte er sich sowohl das Kreuzband als auch das Innenband gerissen, und zwar in jedem Knie. 2005 hatte er sich einen Trümmerbruch im linken Handgelenk zugezo gen, und beide Arme waren schon einmal ausgekugelt gewesen. Vor vier Jahren war er die Endrunde der PBR -Meisterschaft – die Meisterschaft der Professionellen Bullenreiter – mit einem gebrochenen Knöchel geritten, indem er die noch nicht wieder zusammengewachsenen Knochen durch einen Spezial-Cowboystiefel fixierte. Und selbstverständlich hatte er sein Quantum an Gehirnerschütterun gen abbekommen, wenn er abgeworfen wurde. Dennoch hatte er den Großteil seines Lebens nichts lieber tun wollen als zu reiten.
Wie Sophia gesagt hatte: Vielleicht war er wahnsinnig.
Durch das Küchenfenster sah er seine Mutter. Er fragte sich, wann sich ihr Verhältnis wohl wieder normalisieren würde. In den letzten Wochen war sie immer schon fast mit dem Frühstück fertig gewesen, wenn er auftauchte, ganz offensichtlich, um ein Gespräch mit ihm zu vermeiden. Sie nutzte seine Anwesenheit nur, um zu demonstrieren, dass sie immer noch wütend war. Er sollte die Last ihres Schweigens spüren, wenn sie ihren Teller abräumte und ihn allein am Tisch ließ. Vor allem aber sollte er ein schlechtes Gewissen haben. Er hätte natürlich auch bei sich frühstücken können – auf der anderen Seite der Tannenbaumpflanzung hatte er sich ein kleines Haus gebaut –, wusste aber aus Erfahrung, dass es die Stimmung nur noch verschlechtert hätte, ihr diese Gelegenheiten vorzuenthalten. Sie würde sich wieder beruhigen. Irgendwann bestimmt.
Er trat auf die gesprungenen Betonstufen und ließ prüfend den Blick über das Haus schweifen. Das Dach war gut in Schuss, er hatte es vor ein paar Jahren erneuert, aber die Außenwände mussten unbedingt gestrichen werden. Leider würde er dazu jedes Brett erst abschleifen müssen, wodurch sich der Zeitaufwand verdreifachte – Zeit, die er nicht hatte. Das Wohnhaus stammte aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, und im Laufe der Jahre war es so oft gestrichen worden, dass die Farbschicht wahrscheinlich dicker war als das Holz selbst. Jetzt blätterte sie überall ab, und unter der Regenrinne faulte sie. Apropos, die musste auch repariert werden.
In dem kleinen Windfang streifte er sich die Stiefel auf d er Matte ab. Die Tür quietschte wie üblich, und ihm schlug der Duft von Speck und Bratkartoffeln entgegen. Seine Mutter stand am Herd und rührte Eier in einer Pfanne. Der Herd war neu, den hatte Luke ihr letztes Jahr zu
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