Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
Weihnachten geschenkt, die Schränke allerdings gehörten noch zur Originaleinrichtung, und auch die Arbeitsfläche gab es schon, solange er sich erinnern konnte. Genau wie den Linoleumfußboden. Der Eichentisch, von seinem Großvater gebaut, war im Laufe der Jahre matt geworden. In der Ecke verströmte der uralte Holzofen Hitze – was ihn daran erinnerte, dass er noch Brennholz hacken musste. Wenn es jetzt kalt wurde, sollte er lieber rechtzeitig den Vorrat auffrischen. Er nahm sich vor, sich nach dem Frühstück an die Arbeit zu machen, ehe Sophia käme.
Als er seinen Hut an die Garderobe hängte, fiel ihm auf, dass seine Mutter müde wirkte. Kein Wunder – als er Pferd gesattelt hatte, war sie schon dabei gewesen, die Ställe auszumisten.
»Morgen, Mom«, sagte er mit neutralem Tonfall. Er ging zum Spülbecken und schrubbte sich die Hände. »Brauchst du Hilfe?«
»Ist schon fast fertig«, gab sie zurück, ohne den Blick zu heben. »Aber du kannst Brot toasten. Liegt hinter dir auf der Arbeitsfläche.«
Er steckte die Scheiben in den Toaster und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Seine Mutter drehte ihm weiterhin den Rücken zu, doch er spürte, dass sie die gleiche Botschaft aussandte wie seit Wochen. Hab ein schlechtes Gewissen, du böser Sohn. Ich bin deine Mutter. Sind dir meine Gefühle etwa völlig egal?
Nein, natürlich nicht, dachte er. Deshalb mache ich das Ganze ja. Aber er sagte nichts. Nach fast einem Vierteljahrhundert gemeinsam auf der Ranch waren sie Meister in der wortlosen Kommunikation.
Er trank einen Schluck Kaffee und lauschte dem Klappern des Pfannenwenders.
»Keine Probleme heute Morgen«, sagte er dann. »Ich hab mir die Stiche bei dem Kalb angesehen, das sich im Stacheldraht verfangen hatte. Heilt gut.«
»Schön.« Sie legte den Pfannenwender weg und holte zwei Teller aus dem Hängeschrank. »Ich verteile gleich hier am Herd, okay?«
Luke stellte seinen Kaffee auf den Tisch und nahm Marmelade und Butter aus dem Kühlschrank. Als er fertig gedeckt hatte, brachte seine Mutter die vollen Teller. Er holte das Brot aus dem Toaster, gab ihr eine Scheibe und stellte dann noch die Kaffeekanne zu den anderen Sachen.
»Die Kürbisse müssen diese Woche geerntet werden«, erinnerte sie ihn und griff nach der Kanne. Kein Blickkon takt, keine Umarmung zur Begrüßung ... nicht, dass er damit gerechnet hätte. »Und das Labyrinth muss auch aufgebaut werden. Am Dienstag wird das Heu geliefert. Außerdem musst du einige Kürbisse schnitzen.«
Die Hälfte der Kürbisernte war bereits an die First Baptist Church in King gegangen, aber den Rest verkauften sie an den Wochenenden auf der Ranch. Einer der Höhepunkte für die Kinder – und damit ein Renner bei den Erwachsenen – war ein aus Heuballen gebautes Labyrinth. Sein Vater hatte die Idee gehabt, als Luke noch klein war, und im Laufe der Jahre war der Irrgarten immer ausgeklügelter geworden. Mittlerweile war es eine Art lokale Tradition.
»Ich kümmere mich darum«, sagte Luke. »Liegt der Plan noch in der Schreibtischschublade?«
»Wenn du ihn letztes Jahr dorthin geräumt hast, schon.«
Luke strich sich Butter und Marmelade auf seinen Toast, und beide schwiegen.
Nach einer Weile seufzte seine Mutter. »Du warst gestern erst spät zurück.« Sie griff nach Butter und Marmelade, als Luke damit fertig war.
»Warst du noch auf? Ich habe gar kein Licht gesehen.«
»Ich hatte schon geschlafen. Aber ich war gerade aufgewacht, als du mit dem Pick-up in die Einfahrt gebogen bist.«
Er bezweifelte, dass das stimmte. Ihr Schlafzimmerfenster lag nicht zur Auffahrt, was bedeutete, sie hätte im Wohnzimmer sein müssen, um ihn zu bemerken. Was wiederum bedeutete, dass sie aufgeblieben war, weil sie sich Sorgen um ihn machte.
»Ich bin mit ein paar Freunden noch länger geblieben. Hab mich überreden lassen.«
Sie starrte weiter auf ihren Teller. »Das dachte ich mir schon.«
»Hast du meine SMS bekommen?«
»Ja.« Mehr sagte sie nicht. Keine Fragen zu dem Ritt oder wie es ihm ging, keine Besorgnis über die Schmerzen, von denen sie wusste, dass er sie hatte. Im Gegenteil, das Unausgesprochene dehnte sich aus, wurde noch raumgrei fender. Traurigkeit und Wut tropften von der Decke, sickerten von den Wänden. Das musste er ihr lassen, sie war ziemlich gut darin, ihm ein schlechtes Gewissen einzutrichtern.
»Möchtest du darüber sprechen?«, fragte er schließlich.
Zum ersten Mal sah sie ihn quer über den Tisch an. »Eigent lich
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