Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
nicht.«
Na gut, dachte er. Aber trotz ihres Zorns vermisste er die Gespräche mit ihr. »Darf ich dir dann eine Frage stellen?«
Er konnte praktisch hören, wie sie sich innerlich für die Schlacht wappnete. Sich darauf vorbereitete, ihn allein am Tisch zu lassen und auf der Veranda weiterzuessen.
»Welche Schuhgröße hast du?«
Ihre Gabel blieb mitten in der Luft hängen. »Welche Schuhgröße ich habe?«
»Später kommt vielleicht jemand vorbei.« Er pikte mit der Gabel in das Rührei. »Und es könnte sein, dass sie sich Stiefel leihen muss. Falls wir reiten gehen.«
Zum ersten Mal seit Wochen konnte sie ihr Interesse nicht verbergen. »Sprichst du von einer Frau?«
Er nickte und aß weiter. »Sie heißt Sophia. Ich habe sie gestern Abend kennengelernt. Sie wollte sich mal die Scheune ansehen.«
»Warum das denn?«
»Weiß ich nicht. Es war ihre Idee.«
»Wer ist sie?« In ihrer Miene flackerte eine Spur von Neugier auf.
»Sie studiert am Wake Forest College. Kommt aus New Jersey. Und falls wir reiten gehen, braucht sie vielleicht Stiefel. Deshalb die Frage nach deiner Schuhgröße.«
Ihre Verwunderung verriet ihm, dass sie endlich einmal an etwas anderes als die Ranch dachte. Oder ans Bullenreiten. Oder die Liste, die sie abzuarbeiten hatte, bevor die Sonne unterging. Es hielt leider nicht lange vor, und sie konzentrierte sich wieder auf ihren Teller. »Achtunddreißig. Im Schrank steht ein altes Paar, das sie gern benutzen kann. Wenn es passt.«
»Danke«, sagte er. »Ich wollte jetzt ein bisschen Holz hacken. Es sei denn, du hast etwas anderes für mich zu tun.«
»Nur die Bewässerung. Die zweite Weide braucht Wasser.«
»Hab ich heute Morgen schon erledigt. Aber ich stelle es noch ab, bevor sie kommt.«
Seine Mutter schob einen kleinen Berg Rührei auf ihrem Teller hin und her. »Nächstes Wochenende werde ich deine Hilfe beim Verkauf brauchen.«
An der Art, wie sie es sagte, merkte er, dass sie schon die ganze Zeit vorgehabt hatte, das Thema anzusprechen, dass sie deshalb bei ihm am Tisch sitzen geblieben war.
»Du weißt, dass ich am Samstag nicht hier bin«, gab er ruhig zurück. »Da bin ich in Knoxville.«
»Um wieder zu reiten.«
»Es ist der letzte Wettkampf dieses Jahr.«
»Warum machst du dann mit? Die Punkte spielen doch keine Rolle mehr.« Ihre Stimme nahm einen bitteren Unterton an.
»Es geht nicht um die Punkte. Ich möchte nicht unvorbereitet in die nächste Saison starten.« Erneut verstummte das Gespräch, und es war nur noch das Klappern der Gabeln auf den Tellern zu hören.
»Gestern hab ich gewonnen«, sagte er schließlich.
»Schön für dich.«
»Ich reiche den Scheck am Montag auf dein Konto ein.«
»Behalt ihn«, blaffte sie. »Ich will ihn nicht.«
»Das Geld ist doch für die Ranch.«
Als sie ihn ansah, lag in ihrem Blick weniger Wut, als er erwartet hatte. Stattdessen entdeckte er Resignation, vielleicht sogar Traurigkeit, begleitet von einer Erschöpfung, die sie älter wirken ließ, als sie wirklich war.
»Die Ranch ist mir egal«, sagte sie. »Mir geht es um meinen Sohn.«
N ach dem Frühstück hackte Luke eineinhalb Stunden lang Holz und stapelte es neben dem Haus seiner Mutter auf. Seit dem Gespräch beim Frühstück ging sie ihm wieder aus dem Weg, und obwohl ihm das zu schaffen machte, tat ihm die körperliche Arbeit gut, sie lockerte seine Mus keln und gab ihm Gelegenheit, über Sophia nachzuden ken.
Die junge Frau ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, und er konnte sich nicht erinnern, wann so etwas zum letzten Mal vorgekommen war. Nicht seit Angie zumindest, aber selbst das war nicht das Gleiche gewesen. Angie hatte ihm viel bedeutet, aber sie hatte ihn nicht so beschäftigt wie Sophia. Bis gestern Abend hatte er sich so etwas nicht einmal vorstellen können. Nach dem Tod seines Vaters hatte es ihn seine gesamte Kraft gekostet, sich überhaupt aufs Reiten konzentrieren zu können. Als die Trauer all mählich nachließ, stürzte er sich voll und ganz aufs Reiten. In den Jahren auf Tour hatte nichts anderes in seinem Leben Platz gehabt, und mit jedem Erfolg hatte er die Latte höher gelegt, hatte noch verbissener versucht, alles zu gewinnen.
Solcher Einsatz ließ wenig Raum für Beziehungen. Wäh rend der letzten eineinhalb Jahre hatte sich die Situation aber geändert. Keine Reisen mehr, kein Training, und auf der Ranch war zwar immer etwas zu erledigen, aber daran war er gewöhnt. Wer als Viehzüchter erfolgreich sein wollte, musste
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