Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
genauso wird, wie man es sich vorher vorgestellt hat.«
Mittlerweile standen sie vor dem Eingang zum Labyrinth. Luke führte Sophia und zeigte ihr Durchgänge, die nach ein paarmal Abbiegen in Sackgassen endeten, und an dere, die weiterführten. Das Labyrinth erstreckte sich über fast einen halben Hektar.
Hinterher liefen sie zu den bereits geernteten Kürbissen. Ein paar lagen auf dem Boden, andere steckten in Tonnen oder waren zu lockeren Pyramiden aufgestapelt. Hunderte wuchsen noch auf dem Feld dahinter.
»Das war’s«, sagte er.
»Das ist eine Menge. Wie lange hat es gedauert, das alles aufzubauen?«
»Drei Tage. Aber wir hatten auch noch anderes zu tun.«
»Logisch.«
Sophia prüfte die Kürbisse, suchte sich schließlich einen mittelgroßen aus und gab ihn Luke. Er legte ihn auf die Ladefläche des Pick-ups.
Als er sich wieder umdrehte, stand Sophia unmittelbar vor ihm, das dicke blonde Haar fast weißlich im Sternenlicht. Instinktiv griff er erst nach der einen Hand und dann nach der anderen, und die Worte purzelten heraus, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.
»Ich möchte alles über dich erfahren«, murmelte er.
»Du kennst mich schon besser, als du glaubst. Ich habe dir von meiner Familie und meiner Kindheit erzählt, vom College und davon, was ich mit meinem Leben vorhabe. Viel mehr gibt es nicht zu wissen.«
Doch, es gab so viel mehr, und er wollte alles wissen.
»Warum bist du hier?«, flüsterte er.
Sie war sich nicht ganz sicher, was er meinte. »Weil du mich hergebracht hast.«
»Ich meine, warum bist du bei mir?«
»Weil ich es will.«
»Das freut mich.«
»Ach ja? Warum?«
»Weil du klug bist. Und interessant.«
Ihr Kopf war leicht in den Nacken gelegt, der Gesichtsausdruck auffordernd. »Als du mich das letzte Mal interessant genannt hast, hast du mich danach geküsst.«
Darauf erwiderte er nichts. Er beugte sich einfach vor, und als ihre Lippen sich trafen, war es für ihn wie eine Entdeckung. Er fühlte sich wie ein Forscher, der endlich ein fernes Land erreichte, das er nur aus seinen Träumen oder vom Hörensagen kannte. Noch einmal und noch einmal küsste er sie, und als er sich von ihr löste, lehnte er seine Stirn an ihre. Er holte tief Luft, denn er konnte seine Empfindungen nur mit Mühe kontrollieren. Und er wusste, dass er niemals wieder aufhören würde, Sophia zu lieben.
KAPITEL 1 1
Ira
Es ist jetzt Sonntagnachmittag, und wenn es dunkel wird, werde ich schon über vierundzwanzig Stunden hier einge sperrt sein. Die Schmerzen kommen und gehen, meine Beine und Füße sind von der Kälte ganz taub. Mein Gesicht tut an der Stelle, wo es auf dem Lenkrad liegt, allmählich weh, ich spüre, wie sich Blutergüsse bilden. Was mich allerdings inzwischen am meisten quält, ist der Durst. Der Gedanke an Wasser ist unerträglich, jeder Atemzug kratzt in der Kehle. Meine Lippen sind so trocken und aufgesprungen wie ein von Dürre heimgesuchter Acker.
Wasser, denke ich wieder. Ohne Wasser werde ich sterben. Ich brauche es und kann es nach mir rufen hören.
Wasser.
Wasser.
Wasser.
Der Gedanke ist nicht abzuschütteln, er verdrängt alles andere. Nie in meinem Leben habe ich mich nach etwas so Einfachem gesehnt. Und ich brauche ja nicht viel. Schon ein Schluck würde alles verändern. Ein einzelner Tropfen.
Doch ich bleibe reglos. Ich weiß nicht, wo die Wasser flasche ist, und ich bin nicht sicher, ob ich sie öffnen könnte, selbst wenn ich sie fände. Ich habe Angst, wieder nach vorn zu kippen, wenn ich den Gurt löse, und mit dem Schlüsselbein auf das Lenkrad zu schlagen, weil ich zu schwach bin, mich zu halten. Allein die Vorstellung, den Kopf anzuheben, ist schon zu viel, ganz zu schweigen davon, das Auto zu durchsuchen.
Und doch will mein Bedürfnis nach Wasser nicht schwei gen, es setzt mir nachdrücklich und unentwegt zu, und ich spüre langsam große Verzweiflung. Ich werde sterben, so wie ich hier sitze. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich es jemals auf den Rücksitz schaffe. Die Sanitäter werden mich nicht wie ein Fischstäbchen herausziehen können.
»Du hast einen morbiden Sinn für Humor«, unterbricht Ruth meine Gedanken, und ich sage mir erneut, dass sie nur ein Traum ist.
»Das ist in dieser Situation wohl durchaus angebracht, meinst du nicht?«
»Du bist noch am Leben.«
»Ja, aber wie lange noch?«
»Der Rekord liegt bei vierundsechzig Tagen. Ein Schwede. Das habe ich auf dem Wettersender gesehen.«
»Nein. Ich hab das
Weitere Kostenlose Bücher