Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
bist ganz offenbar ein Mann mit vielen Talenten.«
Er wusste, dass sie ihn aufzog, aber es störte ihn nicht. »Danke.«
»Ich kann es kaum erwarten, deine Mutter kennenzulernen.«
»Du wirst sie mögen.«
»Wie ist sie?«
»Sagen wir es mal so: Erwarte keine Dame in geblüm tem Kleid und Perlenkette. Eher Jeans und Stiefel und Stroh in den Haaren.«
Sophia lächelte. »Alles klar. Sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«
»Meine Mutter hätte hervorragend in den Wilden Westen gepasst. Wenn etwas getan werden muss, dann tut sie es einfach, und das Gleiche erwartet sie von mir. Sie ist ziemlich nüchtern. Und sie ist hart im Nehmen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Es ist kein leichtes Leben hier draußen.«
»Ich meine, wirklich hart im Nehmen. Sie ignoriert jegliche Schmerzen, beklagt sich nie, weint oder jammert nicht. Vor drei Jahren hat sie sich das Handgelenk gebrochen, weil sie vom Pferd gefallen ist. Und was macht sie? Sagt keinen Ton, arbeitet bis zum Abend, kocht Essen und fährt hinterher selbst ins Krankenhaus. Ich hatte keine Ahnung, bis ich am nächsten Tag den Gips bemerkt habe.«
Vorsichtig stieg Sophia über ein paar Ranken, um keinen Kürbis zu beschädigen. »Ich werde mir Mühe geben, mich von meiner besten Seite zu zeigen.«
»Mach dir keine Gedanken. Ihr zwei seid euch ähnlicher, als du vielleicht denkst.«
Als Sophia ihn von der Seite ansah, fuhr er fort: »Sie ist klug. Ob du’s glaubst oder nicht, sie hat die Abschlussrede ihrer Klasse an der Highschool gehalten, und sie liest heute noch viel, erledigt die gesamte Buchhaltung und bildet sich regelmäßig fort. Sie ist rechthaberisch, aber sie verlangt sich selbst mehr ab als anderen. Die einzige Schwäche, die sie hatte, war ein Faible für Männer mit Cowboyhüten.«
Sophia lachte. »Gilt das auch für mich? Habe ich ein Faible für Cowboys?«
»Weiß ich nicht. Hast du?«
Sie antwortete nicht. »Es hört sich an, als sei deine Mutter eine tolle Frau.«
»Das ist sie auch. Und wer weiß, wenn sie in Stimmung ist, erzählt sie dir vielleicht eine ihrer Geschichten. Darin ist sie ganz groß.«
»Geschichten worüber?«
»Über dies und das. Aber sie bringen mich immer zum Nachdenken.«
»Erzähl mir eine«, bat Sophia.
Er blieb stehen und ging neben einem überdimensionierten Kürbis in die Hocke. »Also gut.« Er drehte den Kürbis auf die andere Seite. »Nachdem ich die landesweite Schulmeisterschaft im Rodeo gewonnen hatte –«
»Moment mal«, unterbrach sie ihn. »Ehe du weiter sprichst ... es gibt hier Rodeoveranstaltungen für Schüler an der Schule?«
»Das gibt es überall. Warum?«
»Nicht in New Jersey.«
»Doch, natürlich, an manchen Highschools. Es kommen Teilnehmer aus jedem Staat.«
»Und du hast die Schulmeisterschaft gewonnen?«
»Ja, aber darum geht es nicht.« Er stand auf und nahm wieder ihre Hand. »Ich wollte sagen, nachdem ich gewonnen hatte – zum ersten Mal, nicht zum zweiten Mal«, neckte er, »schwafelte ich endlos von meinen Zielen und was ich alles erreichen wollte, und mein Vater hörte natürlich begeistert zu. Aber meine Mutter räumte den Tisch ab, und nach einer Weile unterbrach sie mich und erzählte mir eine Geschichte. Und die hat sich mir fest eingeprägt.«
»Was für eine?«
»Ein junger Mann wohnt in einer winzigen, wackeligen Hütte am Strand und rudert jeden Tag mit seinem Boot zum Fischen aufs Meer, nicht nur, weil er etwas zu essen braucht, sondern auch, weil er die Ruhe und den Frieden auf dem Wasser genießt. Aber gleichzeitig will er sein eigenes Leben und das seiner Familie verbessern, also arbeitet er schwer, um immer mehr und mehr zu fangen. Von seinem Verdienst kauft er sich ein größeres Boot, damit sein Geschäft noch profitabler wird. Das führt zu einem dritten Boot und einem vierten, und im Laufe der Jahre erwirbt er eine ganze Flotte. Inzwischen ist er reich und besitzt ein großes Haus und ein florierendes Unternehmen, aber der Stress und die Verantwortung fordern ihren Tribut. Und da erkennt er, dass er später, wenn er sich zur Ruhe setzt, am allerliebsten in einer winzigen Hütte am Strand leben will, wo er den ganzen Tag mit seinem Ruderboot fischen kann. Weil er wieder den Frieden und die Ruhe empfinden möchte wie damals, als er jung war.«
Sophia legte den Kopf schief. »Deine Mutter ist eine weise Frau. In der Geschichte steckt viel Wahres.«
»Glaubst du?«
»Es geht wohl darum, dass die Menschen selten begreifen, dass nichts jemals
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