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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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ging in die Welt, eine Frau, und du kamst nach, keiner konnte uns zurückhalten, keiner uns trennen, wir liebten uns, die Eltern schmiedeten uns mit ihrer Kälte und Strenge wie glühendes Eisen zusammen, ohne die Eltern hätte uns ein anderes Schicksal erwartet, wegen ihnen, für sie und gegen sie hielten wir zusammen). Dein im Leben, Dein im Tod (und mit einem Mal fielen alle Hoffnungen zusammen, ich sah dich im Bett liegen, bleich, der Mund ein schwarzes Loch, ich verstand nicht, was geschehen war, wusste nicht, wie es geschehen konnte und warum, ich wollte zu dir kommen, bei dir sein, du konntest nicht weit weg sein, ich sah dich vor mir im Bett liegen, die Tauben warfen ihr Gurren in das Zimmer, sie gurrten mit der Todesstille um die Wette, ich versuchte, dich einzuholen, mich an deine Seite zu rücken, aber der Weg war versperrt, als hätte sich der Tod gegen mich verschworen, als wollte er mich nicht bei sich haben, ich weiß nicht, warum es nicht hat sein sollen, ich war zu schwach, ich konnte mich nicht an dir festhalten, ich fiel von dir weg in die Leere des Lebens zurück), Dein in Unglück, Angst und Not / Dein in Kreuz und bitterem Leid / Dein für Zeit und Ewigkeit / Jungfrau, Mutter Gottes mein (du Einzige, mir zugewandt, schönes bleiches Gesicht, roter voller Mund, die Gestalt verloren zart und erhaben, die Augen traurig blau) / Lass mich ganz dein eigen sein (hörst du mich, vergiss mich nicht, halte mich in deiner Hand, wie auch ich dein Bild in meiner Hand gehalten habe, lass mich ganz dein eigen sein).

15
    Sobald der Vater sich an das Klavier setzte und zu spielen begann, verließ die Mutter mit gesenktem Kopf das Zimmer. Aber sie entkam der Musik nicht. Sie stand in der Küche und klapperte vergeblich mit den Töpfen und dem Geschirr, damit die Lieblinge des Vaters, Beethoven, Mozart, Schubert, sie nicht bedrängten. Wenn er sie ärgern wollte, suchte er die dazu passenden Noten und drosch auf die Tasten ein, als schlüge er seine schwerfällige Frau, die sich taub zu stellen versuchte. Er trieb sie mit Klaviersonaten über die dürre Ebene der Ehejahre, durch die weiten Täler ihrer Depressionen, bis er erschöpft innehielt. Mit einem Mal wurde er sanft wie ein Lamm, er hatte seine Frau vergessen. Den donnernden Akkorden und prasselnden Läufen folgten die heitersten und melancholischsten Melodien, mit denen er seine Sehnsucht nach jungen fröhlichen Frauen abschöpfte wie Rahm.
    »Der Vater konnte gut Klavier spielen«, sagte Vika. »Ich weinte leise in mich hinein, wenn ich ihm zuhörte. Ich wollte nicht laut weinen, er sollte nicht merken, dass mich sein Spiel zu Tränen rührte.«
    Wir verschlossen uns vor den Eltern, dachte sie, und die Eltern verschlossen sich vor uns. Sie zeigten uns ihre Gefühle nicht, und wir gaben darauf acht, dass wir uns in ihrer Gegenwart nicht gehen ließen. Keine Tränen. Keine Sentimentalitäten. Wir nahmen uns zusammen. Sie lebten in ihrem Panzer und wir in unserem. Wir konnten nicht frei atmen, wenn sie in unserer Nähe waren. Gingen wir auf unser Zimmer, war es, als würden wir ein Fenster in die frische Luft hinein aufstoßen.
    »Du warst klein und schmächtig«, sagte Ruth.
    Ich musste auf dich aufpassen, dachte sie. Ich beschützte dich, ich nahm dich unter meine Fittiche. Und daran wuchs meine Kraft. Ich wurde durch dich stärker. Wäre ich alleine, ihre einzige Tochter gewesen, wäre ich untergegangen. Ich musste stark werden, weil du schwach warst.
    »Jetzt bin ich klein und zäh.«
    »Zäh wie Leder«, sagte Ruth.
    »Mich wirft so schnell kein Pferd ab.«
    »Ah non.«
    Sie besaßen weder einen Schallplatten- noch einen CD-Spieler. Wenn sie Musik hören wollten, dann mussten sie das Radio anschalten. Das Klavier des Vaters hatten sie verkauft. Was sollten sie mit einem Klavier anfangen. Ihre Finger waren steif geworden.
    »Zum Musizieren fehlte mir der Sinn«, sagte Vika.
    Die Musik war gefährlich, dachte sie. Ich wollte die Kontrolle über mich behalten. Vernünftig und streng sein, unangreifbar und unverwundbar. Ich war schwach. Ich musste mich stark machen. Gegen die Eltern. Das war meine einzige Chance.
    »Aber du hast Klavier gespielt«, sagte Ruth. »Wir mussten Unterricht nehmen und jeden Tag üben.«
    Habt ihr geübt, fragte die Mutter uns jeden Tag, dachte sie. Nie fragte sie, wie es uns ging, ob uns etwas bedrückte, immer nur, ob wir unsere Aufgaben und Pflichten erfüllt hatten.
    »Ich mochte nicht Klavier spielen«, sagte Vika. »Ich

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