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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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und den Verwandten, dass sie Deutschland verlassen sollten.«
    »Aber sie wollten dableiben. Unbedingt.«
    »Sie sprachen keine anderen Sprachen«, sagte Vika. » Sie wussten nicht, wohin sie gehen sollten. Ins Ausland wollten sie nicht gehen.«
    »Sie blieben zuhause sitzen und taten so, als würde nichts geschehen«, sagte Ruth.
    »Wenig später hätten wir nicht mehr einfach weggehen können.«
    »Nein, das hätten wir nicht.«
    »Wir säßen nicht hier beisammen. Wir wären wahrscheinlich längst tot. Wie alle anderen auch.«
    »So geht es«, sagte Ruth.
    »Man darf nicht auf einem Fleck hocken bleiben«, sagte Vika.
    Sonst trocknet man aus und zerfällt, dachte sie. Man muss sich bewegen. Ruth muss sich mehr bewegen. Aber sie geht nicht aus dem Haus. Sie muss jeden Tag in der Wohnung auf und ab laufen. Sie sitzt zu viel. Von dem vielen Sitzen wird das Blut dickflüssig, und von dem dickflüssigen Blut wird man depressiv.
    »Man muss sich bewegen«, sagte Ruth.
    »Du bist nicht bei den Eltern hocken geblieben«, sagte Vika, »du bist weggegangen. Weit weg. Weit genug. Nach New York.«
    »Einen anderen Weg gab es nicht«, sagte Ruth.
    Wenn ich zuhause geblieben wäre, hätte ich mich erhängt wie die Frida, dachte sie. Am Fenstergriff in meinem Zimmer. Die Frida wollte sicherlich weggehen und konnte es nicht, sie war zu jung und hatte nichts gelernt. Dann bekam sie ein Kind und machte sich keine Illusionen mehr über ihre Zukunft. Sie malte, aber vom Malen kann man nicht leben, und eine Frau allein mit einem Kind, das wäre nicht gut gegangen.
    »Wir können von Glück sagen, dass wir keine Kinder in die Welt gesetzt haben«, sagte Ruth.
    »Sonst säßen wir nicht hier«, sagte Vika.
    »Wir wären versauert.«
    »Eingegangen wären wir, wie die Primeln«, sagte Vika.
    »Lebendig begraben«, sagte Ruth.
    »Von der eigenen Mutter.«
    »Von den eigenen Eltern.«
    Die Vorstellung, lebend in ein Loch gesenkt und mit Erde überhäuft zu werden, war so übermächtig, dass sie für Sekunden zu atmen vergaßen.
    »Der Vater glaubte nicht, dass du eine Arbeit in New York finden würdest«, sagte Vika.
    Er weigerte sich, daran zu glauben, weil er dagegen war, dass Ruth von zuhause wegging, dachte sie. Wer nichts kann, der geht nicht weg, dachte er sich. Das redete er sich ein. Aber da täuschte er sich in seiner Tochter. Was wusste er von uns. Für wen hielt er uns. Er glaubte nur an sich. Er war von sich völlig überzeugt.
    »Er sagte, dass ich nichts gelernt hätte und zu keiner Arbeit taugen würde«, sagte Ruth.
    Dabei konnte ich drei Sprachen perfekt, dachte sie.
    »Da täuschte er sich.«
    Vika lachte leise auf, schadenfroh.
    Ruth hat dem Vater eins ausgewischt, dachte sie. Sie zeigte ihm, was in ihr steckte. Er hielt sich für unantastbar. Der Herr im Haus. Mutter wagte nicht, ihm zu widersprechen. Er erteilte die Befehle, wir sollten gehorchen. Mutter war zu schwach, um sich ihm zu widersetzen, und er nützte ihre Schwäche schamlos aus. Man darf keine Schwächen zeigen. Die Mutter besaß nicht die Kraft, sich ihm entgegenzustellen. Man muss stark sein, auch sich selbst gegenüber. Wer schwach vor sich selbst ist, der ist es auch vor anderen. Als die Zeit gekommen war, boten wir ihm die Stirn.
    »Die Arbeit ging mir leicht von der Hand«, sagte Ruth.
    Mir durfte kein einziger Fehler unterlaufen, dachte sie. Als Frau darf man keinen einzigen Fehler machen. Gut gekleidet, gut geschminkt, gut frisiert, das wurde vorausgesetzt. Freundlich lächeln und nachgiebig und durchsetzungsfähig sein. Als Frau ist man allein unter Männern. Sie beobachten dich, sie schauen dich an, sie prüfen, wie du aussiehst, was du kannst. Du hast kaum eine Chance, wenn du hässlich bist. Du wirst von ihnen nur geduldet, sie wollen dafür etwas von dir haben, sie erwarten, dass du dich für sie schön machst, sie erwarten ein Augenzwinkern, ein Erröten, ein verschämtes Lächeln. Du bekommst in ihrer Welt nichts umsonst, nicht eine einzige Chance. Sie sind am Ruder, sie geben den Kurs an, sie bestimmen, ob du mit an Bord kommen darfst. Aber auch wenn du an Bord bist, wirst du nie zu ihnen gehören. Du bleibst unter ihnen eine Fremde.
    »Sie bewunderten dich«, sagte Vika.
    Du hast dich tadellos gekleidet, frisiert und geschminkt, dachte sie. Die Männer bewunderten dich, und als sie anfingen, dich zu bewundern, hattest du sie in der Hand.
    »Ich gefiel ihnen«, sagte Ruth.
    Ich gefiel den Männern, dachte sie. Ich war hübsch, ich wusste es.

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