Kein Schatten ohne Licht
trotzdem danke. Im Gegensatz zu deinen anderen Beleidigungen, ist „Selbstmordattentäterin“ ein schon fast putziges Kompliment.“
„ Mit dir rede ich nicht mehr!“ Jetzt kam also schon wieder die Masche mit der kaputten Schallplatte. Prima.
Seufzend lehnte sich Melica in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Unwillkürlich erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie in einem solchen Jet durch die Gegend geflogen war. Damals fest überzeugt, in den nächsten Stunden den Tod zu finden, war ihr vor Nervosität und Angst ganz schlecht geworden. Heute hatte der Tod all seinen Schrecken verloren und selbst wenn er unmaskiert und im rosaroten Ballettrock auf sie zustürmen würde, hätte Melica nicht mehr als ein müdes Gähnen für ihn übrig.
„ Johnny?“, rief sie nach einiger Zeit. „Warum hast du mich eigentlich geküsst, wenn du in Wirklichkeit in meine Schwester verliebt bist?“
Der Jet kippte nach rechts, wurde jedoch in Sekundenschnelle wieder zurückgerissen. Ein Schnauben entschlüpfte Melicas Lippen. „Als du mich „Selbstmordattentäterin“ genannt hast, wusste ich nicht, dass ich noch hier im Jet sterben würde.“
„ Wie kommst du darauf, dass ich sie liebe?“, fragte Jonathan mit quickender Stimme.
„ Ich bitte dich! Warum sonst solltest du mir helfen? Hätte ich Liv nicht dazu gebracht, dich darum zu bitten, wärst du doch niemals hier und brächtest mich nach Djerba!“
„ Ich bin nur nett.“
„ Das bin ich auch und trotzdem hätte ich niemanden zu einer gefährlichen Geiselnahme begleitet.“
„ Dann bist du wohl nicht nett genug. Und jetzt sei endlich ruhig! Ich muss mich auf den Landeanflug konzentrieren.“
Landeanflug klang gut. Und gefährlich. Melica schluckte. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster. Wasser. Erinnerte sie an Urlaub. Je weiter sich das Flugzeug senkte, desto mehr schien das Blau Melica zu verschlingen. Und dann, ganz plötzlich... war es vorbei mit dem Tod im rosaroten Ballettröckchen. Ihre Angst war zurück. Schlimmer als jemals zuvor.
Der Vorteil an einem kleinen Privatjet war, dass man nahezu überall landen konnte. Behauptete jedenfalls die Werbung. Melica jedoch war da durchaus anderer Meinung. Es war kein Vorteil.
„ Es wäre mir lieber gewesen, wenn du nicht so nah an der Synagoge gelandet wärst“, sagte sie.
Jonathan zuckte die Achseln. „Je schneller du am Geschehen bist, desto schneller kannst du dich umbringen lassen. Und das ist es doch, was du willst.“
„ Dein Gerede wiederholt sich.“
„ Deine dummen Entscheidungen ebenfalls.“
Melica seufzte. Dann erhob sie sich auf ihrem Sitz und ging zum Ausgang. Bevor sie den Jet verließ, drehte sie sich noch einmal um. „Danke, Jonathan.“
„ Wofür?“
„ Dafür, dass du mir diese Entscheidung geschenkt hast.“
„ Ihr habt mir doch keine Wahl gelassen“, erwiderte Jonathan mit einem schwachen Lächeln. „Lass dich nicht umbringen, Melica. Es wäre langweilig ohne dich.“
In dieser Sekunde geschah irgendetwas mit ihrem Herzen. Es tat einen kleinen Sprung, ganz schwach nur, leicht. Melica blinzelte. „Ja“, murmelte sie mit kratziger Stimme, bevor sie sich heftig umdrehte und aus der kleinen Maschine kletterte.
Die plötzliche Hitze traf sie wie ein Schlag. Nicht, dass sich Melica sonderlich dafür interessierte. Sie war schon oft geschlagen worden. Ihr Blick klebte förmlich an dem weißen Gebäude mit den blauen Fenstern, das nur wenige hundert Meter von ihr entfernt stand. Sie war absolut fassungslos. Gregors Worte peitschten ihr wie Ohrfeigen durch den Verstand. Er hatte gesagt, dass sie nicht die einzigen Helfer vor Ort sein würden. Ganz offensichtlich war das keine Lüge gewesen.
Kopfschüttelnd tat sie einen Schritt vor und dann noch einen. Die unzähligen schwarzgekleideten Personen, die dort vor der Synagoge wie winzige Ameisen hin und herschwirrten, ließ sie dabei nicht aus den Augen. Warum hatte ihr denn niemand gesagt, dass diese Menschen hier so viele Soldaten, Militärfahrzeuge und Waffen hatten? Melicas Anspannung fiel als schwere Eisenkette von ihr ab und ließ ihr wieder Luft zum Atmen.
So wie es aussah, hatte sie die Situation vollkommen falsch eingeschätzt. Diana und ihre Anhänger waren nicht gnadenlos überlegen, konnten es gar nicht sein. Niemand hatte gegen eine solche militärische Übermacht überhaupt so etwas wie eine Chance. Selbst wenn es nur Menschen waren, die da...
Melicas Gedanken erstarrten im selben Moment wie ihre Schritte.
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