Kein Schatten ohne Licht
erklärte Isak schnell, bevor Tizian die Gelegenheit bekam, irgendetwas zu antworten. „Du sollst die Menschen von hier fortschaffen.“
Verwirrt sah Melica von einem zum anderen. So lange war sie nun schon eine Dämonin und trotzdem hatte sie rein gar keine Ahnung, warum Zane ausgerechnet um so etwas bat. Es sei denn... nein, das war vollkommen unmöglich! Niemals würde sich Zane ernsthaft für das Wohlergehen irgendwelcher Menschen interessieren.
„ Warum?“ Auf die Idee, einfach nachzufragen, hätte sie auch früher kommen können.
„ Zu viele Köche verderben den Brei. Besonders wenn sie außer dem Talent, sich selbst und andere in Lebensgefahr zu bringen, rein gar keine Fähigkeiten besitzen“, antwortete Zane trocken. „In welcher Sprache muss ich eigentlich mit dir sprechen, Barkley, damit du mich verstehst? Oder hat es irgendeinen anderen besonderen Grund, warum du noch immer hier stehst?“
Eines musste sogar Zane zugeben: über mangelnden Respekt musste er sich wohl niemals beschweren. Melica blinzelte und Tizian war fort.
„ Also wie sieht dein Plan aus?“ Es war schon fast peinlich, wie dankbar Isak Zane anstrahlte, ganz so, als hätte dieser gerade eben versprochen, sie von allem Unheil dieser Welt zu befreien und das auch noch an einem Sonntag.
„ Ihr werdet es noch früh genug erfahren. Jetzt geh und such alle Schattenkrieger zusammen. Ich werde euch den Plan nur ein einziges Mal erklären, gleichgültig, wie viele mir dabei zuhören.“
Und schon waren sie wieder allein. Nun hatte Melica also die Wahl. Entweder sie starrte Zane an oder aber sie richtete ihren Blick zurück auf die Synagoge und erlaubte ihrer Angst erneut, die Oberhand über ihre Gefühle zu gewinnen. Sie seufzte leise. Vielleicht war sie des Lebens ja überdrüssig, aber das änderte nichts daran, dass sie noch immer ein fürchterlicher Angsthase war. Ihre Augenlider flatterten, doch sie zwang sich, sie offenzuhalten.
Zane erwiderte ihren Blick mit einer unübersehbaren Belustigung. „Du hast dich nicht verändert“, sagte er leise.
„ Du hast ja keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Irgendetwas in Zanes Miene veränderte sich und Melica war sich fast sicher, dass es Schmerz war, der dort seine Züge beherrschte. „Du denkst, es ginge dir schlecht, nicht wahr?“, fragte er, blickte sie gedankenverloren an und sah doch an ihr vorbei. „Du bedauerst dich und gibst dir gleichzeitig an allem die Schuld. Du willst sterben und hast gleichzeitig Angst vor dem Tod. Doch, Melica. Ich weiß, wovon ich spreche. Weil ich dich kenne. Weil ich dich fühle. Nach außen hin kannst du das kleine, depressive Mädchen spielen. Doch du weißt genauso gut wie ich, dass du dir das nur einredest. Dir geht es nicht schlecht.“
Noch nie hatte sie jemand so beleidigt. „Du behauptest, es ginge mir gut?“
„ Du musst lernen, zuzuhören. Ich sagte nicht, dass es dir gut ginge. Ich sagte, dass es dir nicht schlecht ginge. Ich sagte, dass du dir dies nur einreden würdest. Denn dass du das tust, ist offensichtlich“, erklärte Zane süffisant. „Du suchst Ausreden, um vor dir selbst rechtfertigen zu können, dass du einfach aufgibst. Wenn du nur wie betäubt herumsitzt, kann schließlich niemand von dir erwarten, dass du die Welt rettest. Habe ich nicht recht? Ist nicht das dein Ziel? In Ruhe gelassen zu werden und für nichts und niemanden die Verantwortung zu tragen?“
„ Ich hasse dich.“ Verdammt, mehr konnte sie einfach nicht darauf antworten. Mit jeder Faser ihres Herzens wünschte sich Melica zu widersprechen, Zane als Lügner abzustempeln, jedes einzelne verdammte Wort vergessen zu können... aber... verdammt. Sie konnte es nicht. Zane hätte die Lüge in ihren Worten nur zu schnell durchschaut.
„ Vor einigen Monaten hast du noch etwas anderes behauptet“, erwiderte Zane ungerührt.
Melica wusste nicht, ob es Fluch oder Segen war, dass Tizian in diesem Moment wieder zu ihnen stieß. Sie wusste nur, dass es sie davon abhielt, einen grausamen Mord zu begehen. „Sie brauchen noch ein paar Minuten, um all ihre Sachen zusammenzupacken“, richtete Tizian das Wort an Zane. „Sie sind aber bestimmt gleich verschwunden.“
„ Davon gehe ich doch aus.“ Aufmerksam ließ Zane seinen Blick über die Landschaft schweifen. Dann, mit einem Mal, kniff er die Augen zusammen und stieß Melica in einer unwahrscheinlich schnellen Bewegung zur Seite. Noch während sie fiel, blaffte Zane ihr ein wütendes „Ruhe!“
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