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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
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Hart kniff Melica die Augen zusammen, riss sie sofort wieder auf. Das Bild blieb das gleiche. Irgendetwas lief schief. Und Melica gefror das Blut in den Adern, als sie selbst über die Entfernung hinweg Dianas Gesicht auf dem Dach der Synagoge ausmachen konnte. Die schwarzhaarige Frau lächelte. Erfreut. Siegessicher. Sardonisch. Dann, so als wüsste sie ganz genau, wo Melica stand, drehte Diana ihren Kopf in ihre Richtung. Ihr Lächeln wurde verschlagen. Melicas Mund staubtrocken. Und die Erde völlig aus ihren Angeln gehoben, als das erste Militärfahrzeug mit einem ohrenbetäubenden Knall in alle Einzelteile zerbarst.
    In Filmen wurden solche Momente der Überraschung, solch erderschütternden Momente, mit denen niemand außer dem Verursacher selbst rechnen konnte, dadurch dargestellt, dass der Ton schlagartig ausgeschaltet wurde und sich alles in einer unerträglichen Zeitlupe abspielte. Melica merkte nichts davon. Alles fegte mit unveränderter Geschwindigkeit über sie hinweg und Melica verlor den Halt unter ihren Füßen, als sie von einer heftigen Druckwelle erfasst wurde.
    Sofort rappelte sie sich wieder auf, ihre Augen tanzten panisch von Stein zu Stein, von Mensch zu Mensch. Von Leiche zu Leiche. Mit aufgerissenem Mund starrte Melica auf den leblosen Körper, der durch die Explosion am weitesten in ihre Richtung geschmettert worden war. Die schwarze Weste hing nur noch in Fetzen, zeigte weit mehr als sie verhüllte und das, was sie zeigte, ließ sich Melica wünschen, sich übergeben zu können. Es kostete sie weitaus mehr Kraft als sie besaß, um wegsehen zu können. Die zerfetzte Haut, das angebrannte Fleisch und blanke Knochen darunter... das Bild brannte sich tief in ihr Gedächtnis, verflüssigte sich und breitete sich dann fragmentartig in ihrem Verstand aus.
    Eine Hand legte sich um ihren Oberarm und zog sie sanft zurück. „Melica, du musst dir das alles nicht ansehen.“
    Mehr als nur bereitwillig ließ sich Melica von Isak zu den einzigen drei Wagen ziehen, die die Explosion unbeschadet überstanden hatten. Mit jedem unsicheren Schritt, den Melica auf die drei Ungetüme zutat, wuchs ihre Anspannung. Woran eindeutig die Menschen schuld waren, die aufgeschreckt durch die Gegend rannten, sich irgendwelche Befehle zubrüllten und einen Verletzten nach dem anderen in den vermeintlichen Schutz der drei Wagen zogen. Es hatten weit mehr Personen überlebt als Melica im ersten Augenblick befürchtet hatte. Sie seufzte leise.
    Tizian kam ihnen entgegen. Blut verklebte seine blonden Haare zu formlosen Klumpen und sein kurzer Bart wirkte versengt, doch er selbst schien unverletzt zu sein. „Du hättest im Antrum bleiben sollen“, sagte er ernst.
    Melica ging ohne ein Wort an ihm vorbei. Solche Ratschläge waren das Letzte, was sie hören wollte.
    „ Wie gut stehen unsere Chancen?“, fragte sie, als sie beim ersten Fahrzeug angekommen war.
    „ Schlechter als anfangs angenommen“, antwortete Isak leise. „Bisher haben wir noch nicht viel ausrichten können.“
    Melica ließ langsam die Luft aus ihren Lungen. „Was war das überhaupt für eine Explosion?“
    Tizian sah sie bekümmert an. „Wir wissen es noch nicht.“
    „ Mit eurem Intellekt würdet ihr das Offensichtliche auch dann nicht bemerken, wenn es euch entgegenspringen würde.“
    Die Worte schienen von überall gleichzeitig herzukommen. Dann ein heftiger Griff um ihre Hüften. Alles verschwamm. Melicas Augenlider fielen zu. Als sie ihre Augen Sekunden später wieder aufschlug, war sie fort, an einem anderen Ort. Und das war keine schlechte Metapher für einen abgedrehten Traum. Es war Realität.
    „ Was zur Hölle?“, fluchte sie, während ihr Blick aufgeschreckt durch die Gegend huschte. Wo auch immer sie sich auch befand, in einer Sache war sie sich zu hundert Prozent sicher: an diesem Ort war sie noch niemals zuvor gewesen. Was, wenn man überlegte, dass sie nach Tunesien geflogen war, auch nicht unglaublich überraschend war.
    „ Ist es diesen Idioten etwa noch immer nicht gelungen, dir das Fluchen abzugewöhnen?“
    Ein Klicken in Melicas Kopf. Die Stimme wanderte zu einem Gesicht wie das verlorene Puzzleteil zu seinen Gleichgesinnten. Melicas Knie wurden weich. Langsam drehte sie sich um, die Augen groß, den Mund größer. Ein Traum?
    „ Du hast dir erstaunlich viel Zeit gelassen.“ Es war verrückt. Auch noch nach all dieser Zeit, all diesen Monaten voller Hass und tiefster Verzweiflung rief Zanes eindringlicher Blick noch

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