Kein Schatten ohne Licht
zurückgelegt, da sprang ihr schon etwas auf den Rücken und riss sie erneut zu Boden. Erschöpft schloss Melica ihre Augen, als sich Vanessas gerade noch ramponiertes Knie unangenehm in ihren Rücken bohrte. Irgendwie erinnerte sie diese ganze Situation mehr an eine Szene aus dem Kindergarten als an einen ernstzunehmenden Kampf.
Kaum war dieser Gedanke durch ihr Bewusstsein gerauscht, spürte sie Vanessas Hände an ihrem Hals. Und plötzlich war da nichts mehr mit Kindergarten. Angst. Alles und jeden umfassende, Faser um Faser erfüllende Angst, die durch Melicas Körper schwappte wie eine Flutwelle über die Brandung.
„ Wirkliche Sorgen musst du dir eigentlich erst dann machen, wenn jemand auf die Idee kommt, dir den Kopf abzutrennen. E s gibt nur wenige Lebewesen auf diesem Planeten, die ohne Kopf überleben können – Dämonen gehören nicht dazu.“ Obwohl schon ganze Ewigkeiten vergangen waren, seitdem Jonathan diese Worte gesprochen hatte, geisterten sie dennoch durch ihren Verstand. Es fehlte nicht viel, Vanessa musste nur noch ein bisschen stärker zudrücken, und Melica wäre fort, weit weg, an einem Ort, der schön sein musste, friedlich. An einem Ort, an dem sie doch noch nicht sein wollte.
„ Bitte töte mich nicht!“, röchelte sie erstickt.
Vanessas Lachen klang schwach und kraftlos. „Du bettelst? Ist ja wirklich erbärmlich. Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass du die echte Melica bist.“
„ Wer...“ Mehr brachte Melica nicht heraus.
„ Keine Ahnung, wer du sonst sein solltest. Aber wenn du Melica bist, ist der Dämon, der sich gerade freiwillig gestellt hat, nicht Melica. Das heißt, ihr habt uns reingelegt und wie auch immer ihr das auch gemacht habt: Diana hasst es, hintergangen zu werden.“ Wahrscheinlich merkte Vanessa nicht einmal, wie sich ihre Finger mit jedem Wort fester um Melicas Hals schlossen.
Melica merkte es dafür umso mehr. Ein ersticktes Husten suchte seinen Weg aus ihrem Inneren, kapitulierte jedoch und starb, sodass nicht mehr als ein leises Kratzen aus ihrem weit geöffneten Mund drang. Sofort lockerte Vanessa ihren Griff und obwohl Melica keine Luft mehr zum Überleben brauchte, sog sie sie ein, als stünde sie kurz vorm Ersticken. „Es wäre ein Fehler, dich jetzt schon umzubringen“, verkündete Vanessa mit einem Lächeln in der Stimme. „Sie wird mir so dankbar sein, wenn ich dich zu ihr bringe.“
„ Was denkst du, was du dort mit meiner Gefährtin tust, Vany?“
Wäre es nicht so verdammt tragisch gewesen, hätte Melica lachen müssen. Wenn jemand einen Sinn für das perfekte Timing besaß, dann war das wohl eindeutig Zane.
Ein schwaches Lächeln huschte über Melicas Gesicht, als sie den ehemaligen Sarcone nur wenige Meter von ihnen entfernt die Augenbraue heben sah. Stolz stand er da, breitbeinig, die Arme abwartend vor der Brust verschränkt. Was allerdings nicht davon ablenkte, dass sein bleiches Gesicht vollkommen zugeschwollen war und irgendwie schief auf seinem Hals saß.
„ Ich dachte, Diana hätte dich ausgeschaltet.“ Offenbar war Vanessa weniger über Zanes Auftauchen erfreut als Melica es war.
„ Beim nächsten Mal solltet ihr überprüfen, ob der Kopf tatsächlich vom Körper getrennt worden ist“, antwortete Zane mit einem höhnischen Wolfsgrinsen. „Obwohl. Ich vergaß. Zu einem nächsten Mal wird es wohl kaum kommen.“
Im nächsten Moment fuhr ein dumpfer Schmerz durch Melicas Körper. Verstört fand sie sich plötzlich auf dem Boden wieder. Ein Rauschen, ein Lachen, ein Schrei. Zane stand vor ihr, seine Finger tief in Vanessas Haar vergraben. Ungerührt hielt er ihren Kopf in die Höhe.
Melica öffnete ihren Mund, wollte schreien, aber bevor auch nur ein Ton ihre Lippen verlassen konnte, hatte Zane sie schon unsanft mit seiner freien Hand an der Schulter gepackt und sie in die Höhe gerissen. „Jetzt komm bloß nicht auf die Idee, mir irgendeine jämmerliche Szene zu machen!“
Seine Miene war kalt, als er sie grob vor sich her in Richtung Synagoge schubste. „Weißt du, wenn wir diesen ganzen Mist hier überstanden haben und irgendwelche lächerlichen Menschen einen Film über dich drehen wollen, dann sag nein. Ein Film mit dir als Hauptfigur wäre erbärmlich. Niemand würde dich mögen. Denn du bist die schlechteste Heldin, die ich jemals gesehen habe.“
„ Ich will auch keine Heldin sein.“ Genau genommen wollte sie gar nicht in diesem Film mitspielen.
„ Das ist das Einzige, was für dich spricht, Mädchen.
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