Kein Schatten ohne Licht
„Ich sehe jedoch ein, dass Schuldzuweisungen uns und auch dem jungen Barkley nicht sonderlich weiterhelfen.“
Die Tür wurde aufgeschlagen.
„ Ich kann mich nicht erinnern, dich hereingeben zu haben.“ Gregors Stimme war genauso kalt wie der Blick, den er dem hereinstürmenden Dämon zuwarf.
Wenn sich Timon schuldig fühlte, versteckte er es gut. Zu gut, um Gregors finstere Miene zu einer weniger finsteren zu verwandeln. „Ich weiß nicht, was für Sitten bei euch Nayigas gelten oder ob es überhaupt gewisse Anstandsnormen gibt, die-“
Was auch immer Gregor noch alles anführen wollte, würde wohl niemand jemals erfahren. „Die haben immer noch jemanden in ihrer Gewalt?“
Würde irgendein Fremder in diesem Moment zufällig das Büro betreten, würde er sie alle ausnahmslos für wahnsinnige Junkies halten. Timon schien von innen heraus zu beben und obwohl er ein Dämon war, glänzte seine schwarze Stirn schweißnass. Die anderen wirkten sogar noch beunruhigender. Ihre Augen waren gigantisch, als sie Timon anstarrten, entsetzt, fassungslos, vollkommen ungläubig. Sie hörten auch gar nicht mehr damit auf, ihre Blicke waren wie festgefroren, sodass Timon sie einfach anschreien musste, damit sie überhaupt auf irgendetwas reagierten. „Wen haben die, verflucht noch mal?“, fauchte er, die Stimme so dröhnend, dass man sie durch das gesamte Antrum schallen hören konnte.
„ Ich träume, oder?“, flüsterte Melica leise. „Kann mir bitte jemand sagen, dass ich das gerade nur geträumt habe?“
Ein Räuspern. „Du hast es nicht geträumt.“ Tizians Stimme war so leise wie ihre.
„ Oh.“ Verstört schüttelte Melica den Kopf.
„ Oh? Was meinst du damit?“, fragte Timon. „Worüber redet ihr überhaupt?“
„ Du“, Jonathan brach ab.
„ Du bist Gregor ins Wort gefallen“, erklärte Melica. Nur äußerst vorsichtig linste sie in Richtung des grauhaarigen Mannes.
Oh oh. Es schien schlimmer zu sein als befürchtet. „Renn!“, flüsterte sie eindringlich. Dramatisch? Ja! Doch ohne jeden Zweifel berechtigt!
„ Was?“ Offenbar verstand Timon nicht, wie wenig ihn in diesem Moment vom Tod trennte. Was gelinde gesagt extrem dumm war. Man brauchte nur einen kurzen Blick auf Gregor zu werfen, um dies mit jeder Faser seines Seins zu wissen und auch zu glauben.
„ Du sollst rennen, verdammt!“, herrschte Melica ihn an.
Timon hatte die Wahl zwischen Flucht und Bleiben, Angst und Mut, Leben und Tod. Er entschied sich. Falsch. „Ihr seid alle völlig durchgeknallt!“, erkannte er kopfschüttelnd. „Völlig durchgeknallt. In dieser Sache geht es um mehr als um Anstand! Könnt ihr mir endlich sagen, wer in ihrer Gewalt ist?“
„ Mein Bruder“, antwortete Jonathan mit bebender Stimme.
Erleichterung trat auf Timons Gesicht. Mit einem Mal war er ganz ruhig. „Das ist schön.“
„ Schön?“, wiederholte Jonathan tonlos, bevor er wutentbrannt auf Timon losging. Noch nie hatte Melica ihn so gesehen. Sein Hass war fast greifbar, als er die Faust hob und sie mit aller Wucht gegen Timons Schläfe rammte.
Es wäre eindrucksvoller gewesen, wenn der Nayiga darauf auch nur irgendeine Reaktion gezeigt hätte. Mit versteinerter Miene blickte er seinen Angreifer an. „Natürlich ist das nicht schön“, erklärte er dann. „Doch ich hatte Angst, dass... hatte befürchtet... ich dachte einfach, dass sie vielleicht noch jemanden anderen mitgenommen haben.“
„ Das haben sie auch“, sagte Isak plötzlich. Er wich Timons Blick dabei eisern aus, so stur, dass es selbst einem Blinden aufgefallen wäre.
„ Was?“ Verwirrung breitete sich in Melicas Kopf aus. „Gerade sagtest du doch noch, dass wir nur einen Schattenkrieger verloren haben!“
„ Wir haben Tizian nicht verloren!“, erinnerte Isak sie. „Und zum anderen ist der Mann, den sie mitgenommen haben, kein Schattenkrieger. Er war einer der Geiseln.“
„ Ich glaube, ich erinnere mich“, murmelte Melica nachdenklich. „Da war noch jemand, der mit denen in den Helikopter gestiegen ist.“
„ Und das habt ihr bisher nicht erwähnt, weil er so schwarz wie ich war, was?“, fauchte Timon und raufte sich verzweifelt die Haare. „Ihr seid solche Rassisten!“
„ Wir...“ Verwirrt beobachtete Melica, wie Timon den Kopf herumwarf, das Gesicht verzerrt aus einer Mischung aus Verzweiflung und blanker Panik. „Wir haben doch gar nicht gesagt, dass er dunkelhäutig war.“
„ Aber er war es!“, schluchzte Timon und schmetterte seine
Weitere Kostenlose Bücher