Kein Schatten ohne Licht
Büro folgten, brav einer nach dem anderen, wie dressierte Hunde in einer miesen Zirkusnummer.
Zur Abwechslung einmal versuchte niemand von ihnen, einen der beiden begehrten Besucherstühle zu erobern. Stattdessen drückten sie sich scheu in Nähe der Tür herum, alle darum bemüht, ja keinen Blickkontakt herzustellen.
Das Gefühl der Schuld vermochte es offenbar, einen jeden Schattenkrieger in ein weinerliches Kind zu verwandeln und war er unter normalen Umständen noch so stark und unerschütterlich.
Es wäre vermessen, zu behaupten, dass sich auch nur irgendjemand in diesem Büro wohlfühlte. Mit Ausnahme von Gregor vielleicht. Dieser sah mit seinen gefalteten Händen nahezu entspannt aus, während er einen nach dem anderen nachdenklich musterte. „Ich habe bereits telefonisch mit Ulima Bel Bahla Kontakt aufgenommen. Ulima ist die Vorsitzende der Organisation, die sich für unsere Belange in der tunesischen Regierung einsetzt. Ihren Worten nach zufolge ist nur eine einzige Geisel zu Schaden gekommen. Dass etwa fünfzehn Soldaten ihr Leben verloren haben, ist nicht weiter erwähnenswert. Sie wussten schließlich von den Gefahren und da es Diana gelungen sein muss, die Gruppe zu infiltrieren, um Bomben in den Einsatzfahrzeugen zu deponieren, kann es sich um keine besonders gut ausgebildeten Menschen gehandelt haben. Gehe ich allein nach diesen Kriterien, ist die Mission perfekt verlaufen. Doch jetzt frage ich einmal euch drei: ist die Mission tatsächlich perfekt verlaufen?“
„ Nein“, antwortete Isak.
„ Nein, Stefan? Was ist deiner Meinung nach denn nicht optimal gelaufen?“
„ Wir haben einen Mann verloren.“
„ Nein, Stefan. Ihr habt nicht nur einen Mann verloren. Ihr habt einen guten Mann verloren. Einen der Wichtigsten sogar. Kannst du mir bitte erklären, wie es dazu gekommen ist?“
„ Unser Plan hat nicht so funktioniert wie er es sollte.“
„ Unser Plan?“, echote Melica ungläubig. „Von welchem Plan sprichst du gerade? Von dem offiziellen oder von dem anderen Plan, dem, den nur die wichtigen Leute kennen durften?“ Eigentlich klang sie viel wütender als sie sich tatsächlich fühlte. Für Wut fehlte ihr einfach die Kraft.
„ Das klingt interessant“, sagte Gregor mit einem kalten Lächeln. „Hast du irgendetwas dazu zu sagen, Stefan?“
Melica konnte Isaks flehenden Blick beinahe spüren, doch sie dachte gar nicht daran, ihn zu erwidern. „Wir wollten nicht zu viele Schattenkrieger in Gefahr bringen. Eigentlich schien alles todsicher zu sein. Während ich Tizian in deiner Gestalt bei Diana ausgeliefert habe, sollten Jane und Zane den Moment nutzen, um Diana den Kopf von den Schultern zu trennen. Woher hätten wir auch ahnen sollen, dass Diana schnell genug ist, um rechtzeitig auszuweichen und um ihrerseits Zane anzugreifen? Und selbst das hätten wir problemlos regeln können, wäre nicht plötzlich Jareth mit drei Geiseln aufgetaucht, auf die er eine Waffe richtete. Wir mussten uns ergeben, alles andere hätte in einem Blutbad geendet.“
„ Soll das heißen, ihr habt Diana mit einem unserer besten Kämpfer davonkommen lassen, obwohl ihr zahlenmäßig mehr als überlegen wart?“
„ Wir dachten, der Plan wäre gut“, erwiderte Isak rasch. „Außerdem... zu viele Köche verderben den Brei.“
Noch nie hatte Melica Gregor sprachlos erlebt. Doch für alles gab es ein erstes Mal. Der alte Mann blinzelte, einmal, zweimal, schüttelte entgeistert den Kopf. „Das ist der mit Abstand lächerlichste Satz, der mir jemals untergekommen ist. Ihr hättet mit über fünfzehn Mann gleichzeitig auf Diana, Vany und Jareth losgehen können. Und ihr habt es nicht getan, weil ihr Angst vor einem nicht schmeckenden Brei hattet?“
„ Ich glaube, dass Isak das nur metaphorisch meinte“, warf Jonathan beflissen ein.
Daraufhin warf ihm Gregor einen solch finsteren Blick zu... es war ein Wunder, dass er nicht vor Schreck tot umfiel. „Ich weiß, was Stefan damit aussagen wollte. Dennoch ist das ausgemachter Schwachsinn!“
„ Im Nachhinein betrachtet ist es das sogar. Aber es erschien so logisch“, entgegnete Isak und seufzte leise. „Ihr kennt Zane doch. Er ist zu überzeugend, um irgendetwas anzuzweifeln.“
Gregor ließ sich Zeit. Eine Sekunde verging, eine zweite und auch eine dritte rannten an ihnen vorbei und verschwanden in der Vergangenheit. „Das stellt deine Eignung als Zirkelmitglied mehr als nur infrage“, gab er leise bekannt, bevor er sich etwas zurücklehnte.
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