Kein Schatten ohne Licht
größer als ihr Verlangen, herauszufinden, wer es war, der seine Seele wortwörtlich an den Teufel verkauft hatte. Doch selbst die Enttäuschung kam nicht gegen das mächtige Gefühl von Gleichgültigkeit an, das ihr Denken seit geraumer Zeit bestimmte.
„ Warum nennen die dich alle Hexenprinzessin?“
Nun gut, sie hatte gelogen. Sie hatte ein wenig mehr getan, als nur herumzusitzen. Ab und an hatte sie auch eine der vielen Fragen beantwortet, die ihr Paula seit Ewigkeiten entgegenwarf. Es war reine Willkür, auf welche Fragen sie sich eine Antwort suchte und welche sie unbeachtet ließ. Überhaupt antwortete sie nur in der Hoffnung, Paula auf diesem Wege schnell loszuwerden. Ihre kleine Schwester begann wirklich, ihr auf die Nerven zu gehen.
„ Die Schattenkrieger haben schon lange keine Hexe mehr gesehen. Ich bin deshalb extrem berühmt gewesen. Und berühmte Personen haben nun einmal einen tollen Künstlernamen.“
„ Aber du bist doch gar keine Hexe!“, warf Paula protestierend ein.
„ Nicht mehr.“
„ Warum? Was ist passiert?“
Melicas Gesicht verschloss sich von ganz allein. Sie antwortete nicht.
Paula spürte, dass sie sich mit dieser Frage auf ein gefährlicheres Terrain begeben hatte. Sie versuchte nicht einmal, weiter nachzuhaken. Stattdessen wechselte sie einfach das Thema: „Warum hast du mir nie gesagt, dass du ein Dämon bist?“
„ Du hättest es mir nicht geglaubt.“
„ Doch.“
Die Tatsache, dass Paula nicht eine Sekunde zögern musste, verunsicherte Melica irgendwie. Sie schluckte. „Das hättest du nicht. Und wenn du es getan hättest, dann hättest du Angst vor mir bekommen.“
„ Das hätte ich niemals!“, sprach Paula im Brustton der Überzeugung.
„ Ich bin nicht vergesslich, Paula. Ich erinnere mich gut an deinen Gesichtsausdruck, als du gesehen hast, was ich mit dem Kerl in diesem Gasthof angestellt habe. Du hattest Angst.“
„ Ich war überrascht! Ist doch auch nicht normal, dass jemand meiner Schwester ein Messer in den Bauch stößt und sich danach in eine Kerze verwandelt!“ Paula schüttelte langsam den Kopf. „Wenn du mir aber verraten hättest, was du bist, wäre ich nicht so überrascht gewesen. Und nachdem du verschwunden bist, hätte ich auch nicht so lange denken müssen, dass du tot bist. Hättest du mir gesagt, dass du ein Dämon bist, hätte ich nicht so viel weinen müssen.“
„ Das ist unfair, Paula.“
„ Du bist unfair. Du hättest mich nicht allein lassen dürfen!“
„ Ich konnte dich ja wohl schlecht mitnehmen!“, widersprach Melica gereizt.
„ Doch! Das wäre richtig gewesen! Weißt du, wie schlimm das zu Hause war, nachdem Daddy gestorben ist? Und Mummy auf einmal verschwunden war? Liv hat mich in so ein komisches Internat geschickt! Das war richtig, richtig blöd da!“
Melica wollte antworten, doch sie konnte es nicht. Die Wut, die in Paulas heller Stimme mitgeschwungen war, brannte sich wie Säure unter ihre Haut. Schmerzen, so stark und unerträglich wie Zanes Schläge, versammelten sich in ihrem Herzen. Ihre Gleichgültigkeit focht einen erbitterten Kampf mit ihren Tränen. Doch es war keine Überraschung, dass sich ihre Tränen nicht durchsetzen konnten. Und so tat es ihr auch fast nicht weh, als Paula zu weinen begann.
„ Und ich hatte gedacht, ihr Schattenkrieger wäret immer so glücklich.“ Die Stimme rief eine Gänsehaut bei Melica hervor, umso mehr, weil sie einfach niemals erwartet hätte, sie in diesem Moment zu hören.
Es musste wirklich lachhaft aussehen, wie sie und Paula die Köpfe in die Höhe rissen, die Augen weit geöffnet, die Blicke starr auf die Tür gerichtet. Zumindest schien Zane dies für lachhaft zu halten. Das Grinsen auf seinen Lippen schwand jedoch schnell. Stattdessen eroberte unverhohlene Sorge seine Züge. „Ich wollte euch nicht erschrecken.“ Sein Flüstern war so leise, dass sich Melica nicht sicher war, ob sie es wirklich gehört hatte oder ob es schlicht und einfach ihren Wünschen entsprungen war.
„ Du musst Paula sein“, sprach Zane weiter. Melica hatte schon immer gewusst, welch Wunderwerke Zane einzig und allein mit seiner Stimme bewirken konnte. Schon einige Male hatte er seine Worte wie einen goldenen Schleier um sie herum gewebt, so dicht und behutsam, dass ein warmes Gefühl der Geborgenheit alle Vernunft und alle Angst aus ihr herausgesaugt hatte. Doch dies war das erste Mal, dass Zane diesen Schleier nicht wieder zum Einsturz brachte. Anstatt wie sonst immer zu
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