Kein Schlaf für Commissario Luciani
willenlose Marionette verwandelte. Er hoffte, dass sie gegangen wäre, und gleichzeitig wünschte er, dass sie käme und ihn anspräche. |371| Er wusste nicht, was er ihr sagen, wie er sie anschauen würde, er wusste nicht einmal ansatzweise, was er für sie empfand. Er grüßte geduldig, einen nach dem anderen, alle Freunde des Vaters, die wenigen Verwandten, die Nachbarn und die Geschäftsleute von Camogli. Viele von der Dienststelle waren gekommen, Iannece natürlich, Calabrò, und auch der neue Inspektor, Vitone, den er kaum kannte, hatte sich herbemüht. Da stand auch dieses blonde Mädchen, das er im Saffophone bemerkt hatte. Sie trat einigermaßen verlegen näher. Sie war eine Wucht und teuflisch jung. »Ich bin Stefania. Sie kennen mich nicht, aber Nicola … Kommissar Giampieri hat mir viel von Ihnen erzählt … Er redet immer von Ihnen und, na ja … Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es mir leid tut …« Sie schaute sich um und fragte sich, wo zum Kuckuck der Ingenieur abgeblieben war. Nicht genug, dass er sich so schäbig aus ihrem Bett davongestohlen hatte, jetzt ließ er sich nicht einmal hier blicken, bei der Beerdigung des Vaters seines besten Freundes, die offensichtlich nur ein Vorwand gewesen war.
Marco Luciani küsste sie auf beide Wangen und sog ihren Duft ein. Er hielt ihre Hand fest und hoffte, dass Sofia Lanni sie so sah. Es war offensichtlich, dass Nicola und sie mehr als nur Kollegen waren.
»Apropos: Ist er da?«
Sie errötete ein wenig. Sollte sie sich für ihn rechtfertigen? »Nein, ich meine, ich habe ihn nicht gesehen. Merkwürdig.«
Der Kommissar lächelte. »Er wird noch mit dem Fall zu tun haben.«
Barbara Ameris Mutter kam als eine der Letzten, sie legte ihm die Hände auf die Arme und schaute ihm in die Augen, fast wie eine Mutter, die sich um das körperliche und seelische Wohl ihres Kindes sorgt und Sachen sagt |372| wie: »Du bist zu dünn«, oder: »Du bist ein wenig blass«, oder: »Du siehst müde aus.« Aber sie sagte nichts dergleichen, sondern entschuldigte sich, dass sie ihn und seine Familie in so einer Situation belästigt hatte: »Ich hatte keine Ahnung … Es tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm um Ihren Vater stand …«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Er hat Ihnen gerne geholfen. Und ich ebenfalls. Wie Sie sehen, hat Kommissar Giampieri den Fall glänzend gelöst. Ich hatte Ihnen gesagt, dass er fähig ist.«
Die Frau nickte, gerührt. Sie entschuldigte sich für die Abwesenheit des Gatten: »Er hat es nicht über sich gebracht, er hat es einfach nicht geschafft.« Dann räumte sie den Platz für andere, die nachdrängten, um zu grüßen, sich zu bedanken, irgendeinen Zwischenfall oder eine Gunstbezeugung des Verstorbenen in Erinnerung zu rufen. Marco Luciani grüßte ebenfalls, dankte, erinnerte sich, aber seine Gedanken waren schon wieder beim Fall Ameri und diesem merkwürdigen Satz, den Giampieri gesagt hatte.
Er stieg mit Mutter und Tante ins Auto und folgte dem Leichenwagen bis zum Friedhof von Staglieno, zur Einäscherung. Dieser Teil der Zeremonie war privat, und nur ganz wenige alte Freunde wollten dabei sein. Sie warteten geduldig, bis die Asche ausgekühlt war.
Gemeinsam mit dem Großen Cäsar kamen sie nach Hause zurück. Einst einer der mächtigsten Anwälte Italiens, hatte er sich für immer in eine Handvoll Asche in einer Urne und in ein paar Erinnerungen verwandelt. Bald, in nur dreißig oder vierzig Jahren, würde auch Marco Luciani eine Handvoll Asche sein, und er würde die letzten Erinnerungen, die letzten genetischen Spuren eines ganzen Geschlechts mit sich nehmen. Sie setzten sich in die Küche |373| und tranken Tee, Patrizia fing an, eine Crostata mit selbstgemachter Pflaumenmarmelade zu backen, während Tante Rina den Kommissar mit Fragen löcherte, Fragen zu seinem Leben, zu seinen Plänen, Fragen, auf die Luciani keine Antwort geben wollte. Und sie gab ihm Dutzende Ratschläge, die er ebenfalls nicht befolgen wollte.
Punkt sieben hatte Luciani die Grube neben dem Olivenbaum mit der Hängematte ausgehoben. Die Sonne ging unter, und der Kommissar fragte sich, ob sich dieser Kloß im Hals, der ihm den ganzen Tag die Luft abschnürte, nach der Beerdigung des Vaters lösen würde.
Punkt sieben zertrümmerte ein Vorschlaghammer Nicola Giampieris Wohnungstür. Calabrò trat als erster ein, dann Iannece und ein weiterer Beamter. Calabrò spürte sofort, dass er da war. Er schaute zuerst ins Bad und in
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