Kein Schlaf für Commissario Luciani
die Küche, dann sah er, dass Iannece wie angewurzelt auf der Schwelle zum Schlafzimmer stand. Er senkte den Kopf und hielt sich am Türrahmen fest.
Er stellte die Urne mit der Asche des Großen Cäsar in die Grube. Er hatte gemeint, ein besonders tiefes Loch gegraben zu haben, in Wirklichkeit reichte es gerade so. Sollte er noch ein bisschen nacharbeiten? Aber er hatte keine Lust, die Zeremonie noch weiter in die Länge zu ziehen, sie hatte sowieso schon etwas Gezwungenes an sich. Er schüttete alles wieder zu und ließ einen kleinen feuchten Hügel, der die Ruhestätte anzeigte. Donna Patrizia legte ihre schönste rote Rose auf die Erde.
Es war ein reiner Automatismus, dass er Giampieri die Finger an den Hals legte. Die weißliche Haut war durchsichtig und kalt, die Venen blassblau. Der Tod musste |374| schon einige Stunden vorher eingetreten sein, womöglich sogar noch am Vorabend. Calabrò wollte sich die Spritze, die noch im Arm steckte, einmal genauer ansehen. Im ersten Moment hatte er sie ausgeblendet wie ein deplatziertes Detail oder eine Halluzination, als wäre plötzlich eine Figur aus einem Zeichentrickfilm oder ein Tier aus der Steinzeit im Zimmer erschienen.
»Nichts anfassen«, sagte er. »Ruft die Spurensicherung.« Iannece starrte ihn an, und Calabrò las seine Gedanken. »Und Kommissar Luciani.«
Er nahm seine Mutter an den Arm und ging mit ihr in die Küche.
»Aber wenn wir umziehen? Wenn wir das Haus verkaufen?«, fragte Donna Patrizia.
»Dann werde ich ihn wieder ausgraben, und du nimmst ihn mit. Wenn du willst«, sagte Marco Luciani. Er dachte an die letzten Worte des Vaters, an das Versprechen, dass er ihm gegeben hatte: sich um die Mutter zu kümmern.
»Ich mache dir etwas zu essen«, sagte sie, »du bist so dürr, dass einem angst und bange wird.«
Marco Luciani dachte, dass er gerne ein Stück Crostata und sonst nichts gegessen hätte.
»Heute Nacht schläfst du hier, oder?«
»Natürlich.«
Da läutete das Telefon.
|377| Montag
Luciani
Polizeichef Iaquinta ging in seinem Zimmer auf und ab, schnaubend und zähneknirschend wie ein Wildschwein auf der Jagd.
»Wusste das irgendeiner von euch?«, fragte Monica Serra.
Marco Luciani schaute Calabrò an, Calabrò schaute Iannece, Iannece schaute Venuti an. Venuti hob hilflos die Arme, er kannte ihn ja praktisch nicht einmal, den Vizekommissar Nicola Giampieri.
Die Staatsanwältin lehnte mit dem Gesäß am Schreibtisch, ihre Fußgelenke waren verschränkt und die Absätze bohrten sich in den Boden. Sie hatte kein Auge zugetan. Bei dem Gedanken, dass sie mit Giampieri im Bett gewesen war, fühlte sie sich dreckig und besudelt. Mit einem Junkie. Die ganze Nacht hatte sie in kaltem Schweiß gelegen, hatte geweint und diesen Augenblick des Irrsinns verflucht. Sie konnte es nicht erwarten, die Besprechung zu beenden, damit sie endlich einen Bluttest machen konnte.
»Ja wie«, platzte Iaquinta heraus, »euer Kollege, mit dem ihr täglich Seit an Seit zusammenarbeitet, ist ein Fixer, und ihr bekommt nichts davon mit? Ihr seid mir ja schöne Ermittler!«
Marco Luciani spürte, wie ihm der Kamm schwoll. Auch er hatte kein Auge zugetan. Von dem Moment an, als man ihn verständigt hatte, war er bei Nicolas Leiche geblieben, war ihm nicht von der Seite gewichen, hatte alle Operationen der Spurensicherung und die Überführung in die Leichenkammer überwacht. Er hatte die Eltern verständigt |378| und deren Zusammenbruch miterlebt. Und er hatte über dem Leib des Freundes gebetet, hatte jeden erdenklichen Gott angerufen, Nicola in eine andere Welt zu bringen, wo er weiterleben konnte, denn es war nicht richtig, dass nun alles zu Ende war, mit neunundzwanzig Jahren.
»Er war auch einer
Ihrer
Kollegen, Herr Polizeichef«, sagte er. Aber natürlich arbeiteten Sie nicht Seit an Seit mit ihm, Sie waren zu sehr mit anderem beschäftigt.«
»Was erlauben Sie sich?! Worauf wollen Sie hinaus?!«
»Wir wissen alle, worauf ich hinaus will. Und Sie sollten sich nicht erlauben, weiterhin Nicola zu beleidigen.«
»Was habe ich denn gesagt? Dass er ein Fixer war. Das ist keine Beleidigung, das ist leider eine Tatsache.«
»Soweit wir wissen, konnte das auch das erste Mal gewesen sein.«
Iaquinta schüttelte den Kopf: »Laut Gerichtsmediziner gibt es deutliche Anzeichen, dass dem nicht so war. Und ihr habt nie etwas gemerkt.«
Marco Luciani starrte ihn an: »Jeder hat seine Laster, Herr Polizeichef. Und das von Nicola hat nie seine Arbeit
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