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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Schauspielerinnen, Anwältinnen, TV-Sternchen und, Gerüchten zu Folge, eine zukünftige Pornodiva. Immer wenn diese Gerüchte durch die Boulevardblätter geisterten, hasste Marco seinen Vater für das Leid, das er der Mutter zufügte. Einmal war er ihn auch direkt angegangen, wollte eine Aussprache erzwingen, und der Vater hatte ihm mit dem Lächeln, das er für die unerbittlichsten Richter bereithielt, ins Gesicht gelogen, hatte beteuert, es sei nichts Wahres dran, wenn man in diesen Kreisen verkehre, würden zwangsläufig irgendwann die absurdesten Gerüchte verbreitet und oft seien es die Mädchen selbst, sie wollten Publicity, wollten mit ihrem Foto auf die Titelseiten kommen. Die geröteten Augen seiner Mutter, der Mittagsschlaf, der immer länger wurde, die Flaschen, die sich immer weiter leerten, verrieten, dass auch sie ihrem Mann nicht länger glaubte, bis ein paar Fotos, die heimlich auf einer Yacht aufgenommen worden waren, die letzten Zweifel ausräumten: Man sah den Großen Cäsar, der einem TV-Sternchen die Zehen lutschte. Als sein Vater daraufhin die kämpferische Miene seines sechzehnjährigen Sohnes, der sich verraten fühlte, sah, versuchte er nicht länger zu leugnen. Er sagte nur leise: »Eines Tages wirst du das verstehen, wenn du ein Mann bist.«
    Luciani war zum Mann gereift, aber den Vater hatte er trotzdem nicht verstanden. Auch wenn einen angesichts einer schönen, willfährigen Frau die Begierde überkam, gab es Regeln, Versprechen, das Wort, das man seiner Frau und den Kindern gegeben hatte. Wenn schon nicht Liebe, hatte Luciani sich mehrfach gesagt, so hätte zumindest Respekt den Vater davon abhalten müssen, seine Familie so zu hintergehen.
    |367| Und doch meinte der Kommissar jetzt, als er aus dem Auto stieg und sah, wie die Sargträger den Leichnam aus dem Laderaum holten und Hunderte Personen sich gleichzeitig bekreuzigten, dass er begriffen habe. Sein Vater war inzwischen tot, und seine verfluchte Hurerei bekam nun einen Sinn. Das Leben konnte schrecklich lang sein, es gab unzählige Gelegenheiten, Dinge zu tun, die man bereute, aber dazu gehörten nicht die seltenen Augenblicke, in denen man wirklich gelebt hatte. Im Körper jener Frauen hatte der Große Cäsar sich lebendig gefühlt, hatte Langeweile, Traurigkeit und den Tod bezwungen, und das war das Höchste, was ein Mensch erhoffen konnte, während er darauf wartete, sich für immer dem Nichts zu überantworten.
    Luciani wunderte sich über die erotischen Vorstellungen, die ihn an diesem dem Tod geweihten Tag immer wieder überkamen. Eine instinktive Reaktion, oder vielleicht lag etwas Merkwürdiges in der Luft, das ihn lockte, das er aber nicht zu fassen bekam. Er schüttelte den Kopf, wahrscheinlich projizierte er einfach seine eigenen unerfüllten Wünsche auf den Vater. Vielleicht hat Papa gar nicht an seine Geliebten gedacht, vielleicht haben die ihm nie etwas Wichtiges gegeben, und in den letzten Momenten hat er an Mama gedacht und an mich. Vielleicht hat er sie wieder im Brautkleid gesehen oder mich als Kind, als Zorro verkleidet, während ich auf ihn zurenne, so wie auf dem Foto, das jahrelang auf dem Kamin stand. Oder vielleicht hat er einfach sich selbst gesehen, auf einem Liegestuhl im Garten, an einem klaren Tag wie diesem, einen Espresso in der Hand, die Augen in der Sonne halb zusammengekniffen. Oder vielleicht hat er an seine eigene Mutter gedacht, denn ich habe ihn immer nur als Vater gesehen, aber vielleicht hat er sich selber wieder als Kind gefühlt.
    Er betrachtete Donna Patrizia, sie war heiter. Der Mann, den sie auf seine letzte Reise begleitete, würde jetzt für |368| immer ihr Gefährte sein. Er war oft weggegangen, ohne dass sie wusste, was er tat und wo sie ihn finden konnte. Ab heute hatte sie ihren Mann wieder ganz unter Kontrolle. Sie hatte ihn geliebt für das, was er war, mit seinen kleinen Stärken und großen Fehlern, und so wie sie mussten ihn auch diese Leute geliebt haben, die die Kirche füllten, und all diejenigen, die reihenweise Nekrologe im »Secolo XIX« 1 und dem »Corriere della Sera« geschrieben hatten, und die vielen , die Telegramme und Karten geschickt hatten. Im Fernsehen wurde der Meldung großes Gewicht gegeben, und viele Gesichter, die der Tangentopoli-Skandal hinweggefegt hatte, waren wieder mit kurzen Stellungnahmen oder Interviews auf der Bildfläche erschienen und hatten sich unter die gemischt, die längst ihr Comeback gefeiert hatten. Einige Politiker hatten gesagt,

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