Kein Schlaf für Commissario Luciani
wäre.
Amalia lachte, seufzte, während sie sich von ihm löste. Er sah, wie sie unbeschwert und heiter wurde, als wäre eine Last von ihr abgefallen. Sie zog ihren Rock zurecht und knöpfte die Bluse wieder zu.
»Du lässt mich so liegen?«, fragte er. Während er sie küsste, war das Verlangen zurückgekehrt, und er wartete darauf, dass auch sie …
»Meintest du nicht, du wolltest dich ausruhen?«
»Ja, aber ich habe wieder Lust bekommen.«
»Dann hat die Blondine wohl doch nicht so viel auf dem Kasten.« Sie schlüpfte in ihre Sandalen, wartete, dass er ihr die Tür öffnete, und entwand sich seinem letzten Versuch, sie zu umarmen. »Man sieht sich.«
Er stand da und schaute ihr nach, während sie schnell davonging, mit diesem Hüftschwung, der ihm den Verstand raubte. Was für ein Abend, dachte er. Was für ein Abend. Wahrscheinlich der beste in seinem ganzen Leben.
Er spürte einen leichten Schwindel, sein Herz schlug wild. Zu viele Emotionen für einen einzigen Abend, |364| dachte er. Er sehnte sich nach Frischluft und ging ein Fenster öffnen. Er sah die Zeichen herunterfallen und ihm fiel wieder ein, dass er die an der Tür nicht kontrolliert hatte. Egal, dachte er, während er drei-, viermal tief einatmete. Der Fall ist inzwischen abgeschlossen.
Er nahm die Videokassette und stellte sie ins Regal, aus Aberglauben zählte er, wie immer, die ganze Reihe mit den siebenundvierzig Kassetten durch. Er band sich den Arm ab, dann zupfte er ein bisschen an der Vene des linken Unterarms. Sie war perfekt.
Er dachte wieder an Stefania, wie sie in vollendeter Harmonie durch die Luft geschwebt waren. Es war wunderschön gewesen, aber zum Glück war Amalia gekommen und hatte ihn daran erinnert, dass man derartige Nummern nicht ohne Netz aufführt. Wehe dem, der sich völlig einem anderen Menschen anvertraut, wehe, wenn man die Kontrolle verliert. Er atmete noch einmal tief durch, betrachtete im Gegenlicht den ersten Tropfen an der Nadelspitze, schloss die Augen und wartete darauf, dass das Trapez heranrauschte, an das er sich hängen konnte, wartete auf den beruhigenden Kontakt von Nadel und Arm, den kleinen dumpfen Schmerz in der Vene, das Zittern des Körpers, durch den die Droge schoss, die wie Sperma auf Tod oder Leben zujagte.
Jetzt kommt es, dachte er, jetzt kommt es.
Er wurde in die Sterne katapultiert wie nie zuvor, sein Atem setzte aus. Nicola Giampieri schaffte es nicht zu schreien, er konnte nicht einmal Angst haben. Er flüsterte nur »Mama«, dann sah er, wie sein Körper zu Boden stürzte, und er wusste, dass er nicht mehr zurückkommen würde.
|365| Sonntag
Luciani & Giampieri
Als er die riesige Menschenmenge sah, wusste er, warum sein Vater, auch wenn er nicht gläubig gewesen war, ein kirchliches Begräbnis gewollt hatte: Ein bisschen wegen der Mutter, aber vor allem, weil er nicht auf den großen Abgang verzichten wollte, den eine weltliche Bestattung in einem kleinen tristen Krematoriumssaal nicht erlaubt hätte. Die große Kirche mit Seeblick war gerammelt voll, die Leute standen auch an den Seitenwänden und hinten im Schiff. Selbst auf der Treppe und im Kirchhof drängte sich die Menge, viele Geschäftsleute hatten die Eisenrollos auf Halbmast gesetzt, trotz der sonntäglichen Touristenströme. Es war ein Tag mit Tramontana und kristallklarer Luft, und als Marco Luciani hinter dem Leichenwagen ins Dorf kam, konnte er sich ein »Was für ein großartiger Tag« nicht verkneifen. Dann schämte er sich. Was für ein absurder Satz, wenn man seinen Vater zu Grabe trug, noch dazu vor der Mutter. Deshalb fügte er schnell hinzu: »Ein Tag, wie er Papa gefallen hätte.« Donna Patrizia hatte sanft gelächelt und ihre Hand auf die seine gelegt, mit der er das Lenkrad hielt. »Ja. Er ging hinunter bis an die Promenade, kaufte seine Zeitungen, setzte sich in ein Café und kam braungebrannt und gutgelaunt zurück. Er sagte immer, er werde mit Solarenergie betrieben.«
Wer wusste, woran er im letzten Moment gedacht hatte, jenem, in dem einem hoffentlich nicht noch einmal das ganze Leben vor Augen trat, das wäre zu grausam, besser nur die schönsten Erinnerungen. Vielleicht hatte der Große Cäsar noch einmal seine größten Triumphe durchlebt, die |366| besten Plädoyers oder eine denkwürdige Fernsehdiskussion, bei der er einen Gegner lächerlich gemacht hatte. Vielleicht waren ihm die schönsten Liebhaberinnen erschienen. Als er richtig reich und mächtig war, hatte er viele gehabt,
Weitere Kostenlose Bücher