Kein Schlaf für Commissario Luciani
Zug von oben aufnahm, entfuhr Giampieri ein »Ach du heilige Scheiße!«. Er war ebenso überrascht wie besorgt. Sein Auge war auf Demos trainiert, und er sah, dass sich der ganze Ort in Marsch gesetzt hatte, aller Voraussicht nach würde niemand in Rapallo mehr den Mund aufmachen.
Ein Fernsehreporter war bei Mantero zu Hause. Der Anwalt hatte es vorgezogen, nicht auf die Straße zu gehen, er wollte nicht als Aufwiegler gelten, präsentierte sich aber auf dem Balkon, um den Zug zu begrüßen. Er erntete langanhaltenden Applaus und Sprechchöre wie im Fußballstadion. »Ich bin nicht böse auf die Ermittler, sie tun nur ihre Arbeit«, sagte er in die laufenden Kameras, »aber ich mache mir Sorgen, weil ich um meine Unschuld weiß und sehe, dass der wirkliche Schuldige, der Mörder der armen Barbara, zusätzlich Zeit gewinnt.«
»Gibt es keine anderen Spuren?«, fragte ihn der Journalist.
»Soweit ich weiß, nicht, auch wenn ich das Gegenteil hoffe.«
|134| »Haben Sie eine Theorie, wer es gewesen sein könnte?«
»Ich habe lange darüber nachgedacht, jeden Tag denke ich darüber nach. Barbara war ein ganz liebes Mädchen, und sie hatte keine Feinde. Nur ein Verrückter, ein Triebtäter kann sie so zugerichtet haben.«
Die Mutter saß neben ihm auf dem Sofa, sie nickte heftig, und als der Journalist sich ihr zuwandte, verlor sie ein paar Worte über ihren Jungen, »der sich immer mustergültig verhalten hatte«, dann fing sie zu weinen an und schob das Mikrophon weg.
Es zogen viele Gesichter vorbei, die Giampieri nichts sagten. Dann erkannte er eine Nachbarin des Anwalts, die Alte vom Balkon, die erklärte, dass er ein ganz feiner Mensch und ein ausgesuchter Gentleman sei: »Er kann nicht getan haben, was man ihm jetzt vorwirft.«
Was werfen wir ihm denn vor? Keiner wirft ihm etwas vor, ich habe nur diesen vermaledeiten Bluttest beantragt! Der Ingenieur wollte schon umschalten, da tauchten Wanst und gerötetes Gesicht von Barbaras Onkel vor der Kamera auf, er packte das Mikro und sagte, ja, der Umzug sei schon eine schöne Sache, aber niemand dürfe versuchen, die Arbeit der Richter aufzuhalten: »Ich verstehe die Gefühle des Anwalts, aber wenn er unschuldig ist, hat er nichts zu befürchten. Was zählt, ist, dass wir den Mörder finden, und dazu müssen wir die Polizei ihre Arbeit tun lassen.«
Wenigstens eine Stimme der Vernunft, dachte der Ingenieur und dankte Garaventa im Stillen. Er schaltete weiter, damit ihm nicht noch mehr der Kamm schwoll, aber es war wie ein Alptraum: auch auf dem ersten Programm Bilder des Fackelzugs.
Wir sind erledigt, dachte er, während man zurück ins Studio gab, wo der Moderator vor einem Schreibtisch stand, im Hintergrund ein großer Monitor mit Barbaras Konterfei und dem Schriftzug: »Wer hat sie getötet?«
|135| Im Studio saß der Anwalt, der Mantero vertrat, ein gewisser Vilfredo Rossi, der vor den Kameras noch gewandter auftrat als im Gerichtssaal. Daneben ein hoher Würdenträger, ein Kriminologe und eine junge Schauspielerin, die in einer TV-Produktion eine Staatsanwältin spielte. Giampieri wusste, dass diese Sendung von jetzt an den Nährboden aller Stammtischgespräche, Zeitungsmeldungen und Rekonstruktionen des Tathergangs bilden würde. Als der Ingenieur sich gerade fragte, warum niemand von der Staatsanwaltschaft anwesend war, erklärte der Journalist, dass die Stellvertretende Oberstaatsanwältin Monica Serra eingeladen worden sei, eine Teilnahme allerdings abgelehnt habe. Sie habe nur eine kurze Erklärung zur Sachlage abgegeben, wonach ein Ermittlungsverfahren nicht der Eröffnung eines Strafprozesses gleichkomme, und dass Prozesse im Gericht, nicht im Fernsehen abgehalten werden sollten.
»Nichts liegt uns ferner, als im Fernsehen zu Gericht zu sitzen«, sagte der Moderator mit einem gütigen Lächeln, »Gott behüte.« Alle Gäste erwiderten das Lächeln. »Doch Italien«, sagte er, mit ernstem Blick die Kamera fixierend, »steht hilf- und ratlos vor diesem furchtbaren Verbrechen. Das Land fragt sich, ob sich ein normaler Mensch, ein von allen geachteter Geschäftsmann, von einem Moment auf den nächsten in eine Bestie verwandeln kann. Ob es sein kann, dass ein braves Mädchen, das nur Heim und Familie im Kopf hat, eines Tages zur Arbeit geht und nie wieder nach Hause kommt. Wir stehen hier nur, weil wir nach Klarheit suchen, um die Aussagen der Beschuldigten und der Verwandten zu hören, und wir sind bereit, der Staatsanwältin das Wort zu geben, wann
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