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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auf die Sofakante: »Was soll das heißen: dein Urteil über mich?«
    »Wieso? Glaubst du, nur dir steht ein Urteil über mich als Vater zu? Kann nicht auch ich dich als Sohn beurteilen?«
    »Nun, die Väter entscheiden sich dafür, Väter zu werden. Die Kinder werden nicht gefragt, ob sie Kinder sein wollen.«
    »Aber sie sind es. Du bist seit fast vierzig Jahren mein Sohn, und lass mich das einmal sagen: Du bist sicher kein guter Sohn gewesen, zumindest nicht in den letzten fünfzehn Jahren. Aber auch vorher nicht. Du warst ein verwöhnter, oberflächlicher Junge, und du bist ein mitleidloser, verhärmter Mann geworden.«
    Marco Luciani hörte ihm ungläubig zu. Wenn das seine Art war, sich zu versöhnen …
    »Damit das klar ist, du bist ein besserer Mensch als ich. Konsequenter und couragierter. Und aufrichtig, nicht in dem Sinn, wie du es verstehst, sondern weil du von dir selbst mehr verlangst als von anderen, und deshalb beneide ich dich nicht, weil du am Ende mit dir allein sein wirst, und was auch immer die anderen sagen oder denken werden, du wirst die Rechnung mit dir selbst machen müssen.«
    »Und du machst sie auch?«
    »Ja.«
    »Und geht sie auf?«
    Der Vater zögerte einen Moment, während er eine bequemere Sitzposition suchte. Dann gab er auf und ließ sich wieder in den Sessel sinken. Marco Luciani rührte sich nicht, um ihm zu helfen. »Ziemlich. Wenn man bedenkt, wo ich herkomme, habe ich es weit gebracht. Mein Vater besaß nichts, weder Geld noch Bildung, aber er hat sein Leben lang gearbeitet, damit ich studieren konnte, und so |148| hat er den Grundstein gelegt, die Basis. Ich bin derjenige, der den Wolkenkratzer gebaut hat, du wirst derjenige sein, der ihn einreißt, ohne sich an ihm erfreut zu haben. Alles in allem hast du dir auf dem Karussell der Generationen die undankbarste Runde ausgesucht.«
    Er hustete ein paarmal mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Sohn wartete, bis er sich das Kinn mit einem Taschentuch abgewischt hatte, ehe er antwortete.
    »Wenn wir alle im Parterre beginnen würden, gäbe es dieses Problem nicht. Ich habe einfach beschlossen, meine Existenz selbst aufzubauen, wie man es früher tat.«
    Der Vater lächelte sarkastisch. »Wann früher? Als es noch die Zünfte gab? Als es die Stände gab, und der Beruf vom Vater auf den Sohn übertragen wurde? Das, was heute immer noch passiert, die Anwaltssöhne werden Anwälte, die Arztsöhne Ärzte, und ebenso verhält es sich mit den Journalisten.«
    »Und das findest du richtig?«
    »Ich fand es nicht richtig, als ich Arbeitersohn war, und deswegen habe ich mir den Arsch aufgerissen, um aufzusteigen. Aber seit ich es bis dahin geschafft habe, wo ich hin wollte, kommt es mir richtig vor – übrigens bis heute –, dass man den Kindern mitgeben kann, was man erreicht hat. Wenn du weißt, dass mit dir alles zu Ende geht, warum solltest du dich dann dermaßen anstrengen? Du legst dich in die Sonne, unter eine Palme, und wartest, bis dir die reifen Früchte in den Schoß fallen.«
    »Viele Völker leben so.«
    »Ja. Mit einer Lebenserwartung von fünfunddreißig Jahren, drei von acht Kindern sterben ihnen weg, und wenn der erste Taifun vorbeikommt, stehen sie vor dem Nichts. Halt mir jetzt keine kommunistischen Vorträge über die Rettung der Dritten Welt, Marco, da glaubst du nämlich selbst nicht dran.«
    |149| »Vielleicht sind sie wirklich glücklicher als wir.«
    »Wer denn? Diejenigen, die Hungers sterben, wenn die Ernte mager ausfällt? Oder sehnst du dich vielleicht nach dem Realsozialismus zurück, nach den Moskauer Plattenbauten, zwei Familien auf fünfzig Quadratmetern, ohne jede Zukunftsperspektive, ohne dass die Besten, die Talentiertesten es zu etwas bringen können?«
    »Auch die weniger Talentierten haben dieselben Rechte, Papa.«
    »Die weniger Talentierten zählen einen Dreck. Sie sind nur der Ballast der Gesellschaft. Es sind die Begabten, die Genies, die ihrer Zeit überlegenen Individuen, die der Gesellschaft auf die Sprünge helfen, ihr den Fortschritt bescheren.«
    »Der wirkliche Ballast sind die, die nur von Zinsen leben.«
    Der Große Cäsar ließ sich ein bisschen Wasser geben. Er hatte schon seit Tagen nicht mehr so viel geredet.
    »Ohne die Leute, die von Zinsen zehrten, mein Freund, und Zeit zum Denken hatten, um das Schöne zu ergründen, würde es keine Literatur, keine Philosophie, keine Malerei und keine Kunst geben. Es würde keine Musik geben.«
    »Du bist im vergangenen Jahrhundert

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