Kein Schlaf für Commissario Luciani
Stellvertreter Giampieri ist dabei, einen Riesenschlamassel anzurichten. Er hat gegen einen Broker ermittelt, einen braven Katholiken, und hat damit den ganzen Ort gegen uns aufgebracht, die halbe Staatsanwaltschaft, eine unabsehbare Zahl an Parlamentariern und die komplette Amtskirche.«
»Ich hätte genauso gehandelt.«
»Aber es kommt auf den Ton an. Und dann weiß er seine Mitarbeiter nicht zu führen. Er stellt sich ungeschickt an, er ist einfach noch nicht so weit, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Ich weiß, dass Sie es für mich nicht tun würden, aber tun Sie es für ihn, damit er sich nicht die Zukunft verbaut.«
Marco Luciani schüttelte den Kopf und lächelte, er wusste nicht, sollte er geschmeichelt sein oder angewidert von einer derart schamlosen Heuchelei.
»Sie werden es nicht glauben, Herr Polizeichef, aber ich würde ihm so etwas nie antun. Er ist ein Freund, und als Polizisten schätze ich ihn ungemein. Der Fall gehört bereits |145| ihm, und ich bin sicher, dass er ihn lösen wird, vorausgesetzt ihr lasst ihn in Ruhe arbeiten. Wenn Sie jetzt erlauben, kehre ich in den Urlaub zurück, und ich möchte Ihnen raten, mich dabei nicht mehr zu stören.«
Er stand auf und verließ die Bar, ohne dem anderen Zeit für eine Erwiderung zu lassen.
Er stieg in den Wagen und boxte mit Genugtuung in den Matchsack, der auf dem Beifahrersitz wartete. Der Freitag war der wöchentlichen Tennispartie mit seinem Freund Andrea gewidmet, von zwölf bis zwei in Bogliasco. Ohne den Druck, dass er schnell wieder zur Arbeit musste, würde der Kommissar ihm, das spürte er, eine denkwürdige Lektion erteilen.
Er duschte, schloss seine Sporttasche, zog sich an und stieg ins Auto. Die Versuchung, direkt nach Genua zu fahren, war groß, aber da es fast auf dem Weg lag, hätte er sich wie ein Schuft gefühlt, wenn er nicht in Camogli vorbeigefahren wäre, um einmal nach seiner Mutter zu sehen. Das war keine Frage von Gefühl, sondern von Pflichtbewusstsein, sagte er sich. Mit Ersterem konnte er umgehen, es sogar ignorieren, aber gegen Letzteres war er machtlos.
Der Vater saß in demselben Ledersessel, in dem er ihn zurückgelassen hatte. Er schlief. Die Mutter rief ihn vorsichtig und wollte ihn wecken, aber Luciani bedeutete ihr, sie solle ihn ruhen lassen, setzte sich aufs Sofa, das man von dem Laken befreit hatte, und während Donna Patrizia in die Küche ging, betrachtete er still seinen Vater. Wenn man ihn so beim Schlafen beobachtete, die über die Knochen gespannte Gesichtshaut, den dürren Hals, der aus dem Tuch ragte, die riesigen Augenhöhlen, dann konnte man leichter Mitleid empfinden.
Nach etwa zehn Minuten erwachte der Große Cäsar, der Anblick des Sohnes schien ihn nicht zu überraschen, |146| und er bat um ein Glas Wasser, von dem er, unter sichtbaren Qualen, nur ein paar Schlucke trank. Sein Zustand hatte sich in nur zwei Tagen erheblich verschlechtert.
»Wie geht es dir, Papa?«
»Nicht sehr gut heute. Ich fürchte, sie werden die Dosis erhöhen müssen, die Schmerzen sind wieder sehr stark.«
»Ich glaube, der Arzt kommt später, am Nachmittag.«
»Ja. Und die Medikamente, die er mir diesmal gibt, werden mich fast in Dauerschlaf versetzen, und wenn ich aufwache, werde ich nicht bei klarem Verstand sein, so wie jetzt. Das ist eine schwierige Wahl, zwischen Betäubung und Schmerz.«
Marco Luciani sagte nichts. Ich würde die Betäubung wählen, dachte er, ich würde mich sofort für Euthanasie entscheiden.
»Hör zu, Marco, ich möchte gerne noch einmal auf das Thema vom letzten Mal zurückkommen. Vergessen wir einmal, nur für ein paar Minuten, dein Urteil über mich und meines über dich, und reden wir wie erwachsene Menschen miteinander.«
Die Krankheit hatte aus seinem Körper ebenso wie aus seinem Verhalten alles Überflüssige getilgt. An ihm war kein Gramm Fett mehr, und auch seine Art zu sprechen hatte sich auf das Wesentliche reduziert, trocken und direkt, typisch für jemanden, der keinen Atem mehr zu verschwenden hat. Wenn man ihn so betrachtete, erkannte man kaum noch, was für ein Mensch er gewesen war, ob arm oder reich, alleinstehend oder verheiratet, ehrlich oder unehrlich. Vielleicht sah Marco ihn zum ersten Mal nicht mehr als seinen Vater oder als Ehemann seiner Mutter, oder als den Anwalt der Minister und Geschäftemacher, sondern einfach als ein menschliches Wesen, das vor dem Dahinscheiden noch einmal nach der Essenz seines Daseins sucht.
|147| Luciani setzte sich
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