Kein Sex ist auch keine Loesung
Stattdessen öffnet sie den Mund, um etwas zu sagen. Nur leider ist die Fahrstuhltür
schneller, und ich bin schon fast im Begriff, durch das Treppenhaus |100| zu rennen, doch halt! Wozu denn? Es kann mir völlig egal sein, was diese Frau mir sagen möchte, denn ich bin ein begehrter
Junggeselle, nach dem sich – sobald ich den Etat gewonnen und ein fettes Gehalt in der Tasche habe – die gesamte Hamburger
Damenwelt wieder ihre Finger lecken wird. Außerdem verfüge ich über ein ausreichend dickes, privates Telefonbuch, voll mit
Nummern von außergewöhnlich gut aussehenden Frauen, die allesamt nur darauf warten, von mir gebumst zu werden. Und falls auch
Elisa eines Tages merken sollte, welch sexuelle Offenbarung ihr durch die Lappen gegangen ist, würde ich selbst dann nicht
nochmal mit ihr schlafen, wenn sie die letzte Frau auf Erden und ich ein dem Tode geweihter, einsamer Mann wäre.
Es gibt also keinen Grund, ihr hinterherzuhetzen.
Stattdessen sammle ich lieber die Präsentationsteile zusammen und mache mich auf den Weg nach Hause, um mich dort in Ruhe
auf meine Rede vorzubereiten.
Kaum zu glauben, aber es scheint, als wäre tatsächlich alles rechtzeitig fertig geworden. Lediglich eine der drei Kampagnen
muss noch auf Pappen geklebt und später mit dem Kurier zu mir in die Wohnung geschickt werden. Wenn ich mir dann alles noch
einmal in Ruhe vor dem Spiegel aufsage, kann morgen eigentlich nichts schiefgehen. Den Etat habe ich also bereits so gut wie
in der Tasche!
Mit dem großartigen Gefühl, bald ein Dutzend Arbeitsplätze gerettet zu haben, dafür entsprechend entlohnt zu werden und dazu
noch von einem – durch die teuren Autos angelockten – Schwarm gutaussehender Frauen verfolgt zu werden, gegen die Elisa eine
Lachnummer ist, mache ich es |101| mir erst mal mit einem Bier vor dem Fernseher gemütlich. Man muss schließlich auch mal abschalten.
Irgendwann beginnt eine Wiederholung von
Star Trek
, und meinetwegen kann der Schwarm gutaussehender Frauen auch heute noch ausbleiben, solange es nur weiterhin solche genialen
Fernsehserien gibt. Gerade wird Mr. Spock des Mordes an einem Besatzungsmitglied beschuldigt, als der Kurier an der Haustür klingelt. Um nicht allzu viel von
der Handlung zu verpassen, hetze ich, mit nacktem Oberkörper, barfuß und mit dem Astra in der Hand, zur Tür.
Der auferstandene Tutenchamun oder auch Mr. Spock persönlich hätten mich nicht mehr überrascht als Elisa, die mit einem Stapel Präsentationspappen bewaffnet breit grinsend
vor mir steht.
Langsam, weil unauffällig, ziehe ich den Bauch stramm und verstecke das Astra hinter dem Rücken. Na toll. Unpassender Zeitpunkt
für Damenbesuch, würde ich sagen. Also besser die Dame gleich wieder hinauskomplimentieren, würde ich außerdem noch sagen.
«Oh! Na, das ist ja ’ne nette Überraschung! Komm doch rein», sage ich stattdessen, und das auch noch in einem Tonfall, in
dem man normalerweise den Überbringer einer Lottomillion begrüßen würde.
Ja, ich weiß, ich bin ein Schisser. ‹Danke für die Pappen, und nun guten Heimweg› wäre nicht nur cooler, sondern vor allem
auch um einiges schlauer gewesen.
Denn: Verglichen mit einer illegalen Pokerhölle in einer Rödelheimer Sozialwohnung, sieht es bei mir vielleicht ordentlich
aus. Aber eben nur in diesem speziellen Vergleich. In allen anderen Fällen würde man mir sicher abraten, |102| gesellschaftlichen Verpflichtungen als Gastgeber in dieser Umgebung nachzugehen.
Urteilen Sie selbst:
Wohnzimmer: zwei leere Pizzaschachteln, ein halbvolles, auseinandergepflücktes Sixpack, zwei mit Kippen übersäte Aschenbecher
– in einem qualmt es noch –, diverse schmutzige Socken, einige davon scheinen aber nicht mir zur gehören, da sie mit Werder-Bremen-Aufdruck versehen
sind, sowie auf dem Boden verstreute C D-Hüllen und die aufgeschlagene Fernsehzeitung.
Schlafzimmer: zerwühlte Laken, zerfleddertes Calvin-und-Hobbes-Heft, gepunkteter (!) Pyjama und eine splitterbombenartig explodierte
Tüte Chips, deren Krümel im gesamten Bett aufgeschlagen sind.
Die knappe Bestandsaufnahme lässt mir zwei Möglichkeiten: Entweder ich schaffe es, Elisa im Flur abzufertigen, oder aber diese
Frau wird mich für immer als hygienischen Härtefall in Erinnerung behalten.
Nachdem sich meine Lippen bei der Begrüßung ja bereits von meinem Hirn freigesprochen haben, folgt nun auch mein Körper in
die Autonomie: Wie von
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