Kein Sex ist auch keine Loesung
nicht verkneifen, als er mich am nächsten Morgen pünktlich um sechs
Uhr dreißig abholt und zum Flughafen fährt. Seit Susanne jeden Morgen um fünf aufsteht, um den jungen Tag mit einer Stunde
Schreitherapie zu begrüßen, nutzt er jede Gelegenheit, dies nicht mit anhören zu müssen.
«Ich dachte immer, du wärst so toll im Bett?»
Hahaha. Es geht doch nichts über einen guten Freund, der den Dolch in deiner Wunde nochmal genüsslich herumdreht.
«Vince, es wundert mich, dass ausgerechnet du dir nicht vorstellen kannst, dass es Leute mit einem gewissen Pflichtbewusstsein
gibt. Schließlich bist du es doch, der den Geschlechtsverkehr abbricht, wenn deine Mutter auf eurem Anrufbeantworter nach
einer vermissten Tischdecke fahndet. Wie ihr so überhaupt jemals ein Kind zeugen konntet, ist mir ein Rätsel.»
Touché, denke ich und lehne mich ermattet in dem Beifahrersitz zurück. Volvo-Kombi – auch so ein Verantwortungs-Ding.
Ich werde wohl nie begreifen, was junge Paare dazu veranlasst, sich derartige Familienkutschen zuzulegen. Insbesondere wenn
die Familie, will sagen: das Kind, sich noch im Orkus tummelt oder gerade mal Schuhkartonformat |110| erreicht hat – und folglich auch bequem in einem Porsche Platz gefunden hätte.
Vince gibt vor, sich auf den Verkehr konzentrieren zu müssen. (Ich sage nur: sechs Uhr dreißig, die Straßen sind menschenleer …) Aber ich bin auch nicht wild darauf, die Diskussion weiterzuführen.
Nachdem Elisa mich gestern so fluchtartig verlassen hat, als hätte ich ihr kurz zuvor meine kriminelle Vorgeschichte offenbart,
bin ich dummerweise sofort wieder auf dem Sofa eingeschlafen.
Keinen Wecker gestellt, keinen Text gelesen, keine Generalprobe vor dem Spiegel, keinen Koffer gepackt. Zum Glück hat Vince
mich angerufen, als er aufstand. Er kennt mich ziemlich gut, und seit wir mal meinetwegen den Urlaubsflieger verpasst haben,
klingelt er mich vor wichtigen Ereignissen nun vorher wach. So hatte ich heute Morgen wenigstens eine Dreiviertelstunde Zeit,
um alles zu erledigen. Na ja, eigentlich habe ich es nur geschafft, mich zu rasieren, die Tasche zu packen und mir die Präsentation
zu schnappen, dann stand er auch schon hupend vor dem Haus.
Proben muss ich also wohl oder übel im Flugzeug.
Vince hat sein Schweigegelübde inzwischen gebrochen und quatscht jetzt mitteilungsbedürftig von Susanne, die – zurück vom
toskanischen Kreisch-Seminar – nun keine Gelegenheit auslässt, um die stressabbauende Wirkung auch in Hamburg auszuprobieren.
Heute hat Vince, der Wahnsinnige, sich bereit erklärt, mit ihr den Aufbaukurs «Schreimeditation nach Hideaki Motaki» zu besuchen.
Den Vortrag darüber, wer genau dieser Hideaki Motaki ist, verschlafe ich glücklicherweise komplett.
|111| Vor dem Einchecken überprüfe ich sicherheitshalber nochmal meine Mailbox. Nur für den Fall, dass Elisa versucht hat, mich
zu erreichen.
«Es liegen keine neuen Nachrichten für Sie vor.»
Wie ich diese Stimme hasse. Irrt die sich eigentlich nie?
Besonders demütigend daran ist die Tatsache, dass ausgerechnet eine Frau – ich schwöre, an manchen Tagen hat sie sogar einen
schadenfrohen Unterton in der Stimme –, noch dazu eine völlig fremde Frau, vor mir über mein Privatleben informiert ist. Ich meine, in Zeiten, in denen man schnurlos
aus Japan benutzte Slips ordern kann, wäre es weiß Gott passender, wenn man von einer festen, anteilnehmenden, |112| männlichen Stimme über das Fehlen von Sprachnachrichten informiert würde. Ich stelle mir das in etwa so vor: «Also, Junge,
bleib mal locker, aber die Alte hat sich noch nicht gemeldet. Sei froh, Mann, die nervt noch früh genug, glaub mir.»
Ob ich Elisa einfach mal kurz anrufen soll?
Besser nicht. Das wirkt ja wohl total unsouverän, schließlich ist es erst sieben Uhr.
Außerdem gilt es, zunächst einmal den Kampf mit dem Bodenpersonal zu gewinnen, das mir das Mitführen unbefestigter Präsentationspappen
auf meinem Schoß nicht gestatten will. Erst nachdem ich alles ordnungsgemäß mit meinem Lieblingsgürtel zusammengeschnürt und
beim Augenlicht meiner Mutter geschworen habe, das Paket vorschriftsmäßig unter dem Vordersitz zu verstauen, darf ich einchecken.
Was glauben die denn wohl, weshalb ich den Scheiß mit an Bord haben will? Wohl kaum damit er, verschnürt wie eine Sahara-Geisel,
nutzlos unter dem Sitz liegt. Manche Menschen wollen geradezu belogen werden.
Eine freundliche
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