Kein Sex ist auch keine Loesung
‹Feigling› an.»
Keine schöne Vorstellung.
Also richte ich mich im Bett auf und tue das Unvermeidliche: Ich wähle meine eigene Telefonnummer. Keine Ahnung, was ich sagen
soll, falls Elisa an den Apparat geht, aber das würde sich dann schon ergeben. Zu Hause ist sie jedoch nicht, also probiere
ich es auf ihrem Handy.
«Hallo, hier spricht Elisa Hausmann, ich bin im Moment nicht erreichbar. Alle außer Tom hinterlassen bitte eine Nachricht.
Piiiieep.»
Die wohl unerfreulichste Eigenschaft bei Frauen ist, dass sie nachtragend sind. Sie sind so was von nachtragend, die merken
sich einfach alles.
Ich hatte mal eine Freundin – millionenschwere Erbin der Dunux-Tütensuppen-Dynastie –, zu der ich eines Nachts beim Einschlafen versehentlich «Gute Nacht, Barbara!» gesagt habe. Dummerweise hieß sie Doris und
hat mir das nie verziehen. Erschwerend kam hinzu, dass ich gar keine Barbara kannte. Jedenfalls dachte ich das – und hab es
ihr auch hoch und heilig geschworen. Bis wir dann auf einer Silvesterparty zufällig eine ehemalige Klassenkameradin von mir
trafen. Barbara Danilowski. Nie werde ich den Namen vergessen, der mir blitzschnell die Tür zur Welt der Reichen und Schönen
verschloss.
Um nach Hause zu gehen, fehlen mir etwa acht Promille. Also dusche ich kurz und fahre stattdessen in die Agentur.
|255| Dort kann ich mir immerhin noch einmal in Ruhe meinen Arbeitsplatz ansehen und schon mal einen Karton suchen, in den ich spätestens
Montag, wenn Rolf mich achtkantig rauswirft, meine persönlichen Sachen packen muss.
Auf den Straßen ist es nebelig und viel zu dunkel für die Tageszeit. In der Firma brennt Licht, was bedeutet, dass noch jemand
zu Hause rausgeflogen sein muss.
Ausgerechnet Rolf sitzt an seinem Schreibtisch und qualmt genüsslich eine Zigarre. Ob er es schon weiß? Vielleicht hat er
mir ja bereits einen Karton gesucht.
Vorsichtig schleiche ich den Flur entlang, an seinem offenen Zimmer vorbei.
Ich fühle mich so schlecht wie schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich werde ich krank. Todkrank. Ja, ich werde sicher bald
qualvoll verenden.
«Hey, Tom, hängt der Haussegen schief?»
Ich zucke zusammen. Immerhin hat er nicht gesagt: «Hey, Tom, häng dich gleich da drüben auf.» Vielleicht habe ich ja noch
einen Tag Galgenfrist.
In Zeitlupe mache ich kehrt und stecke den Kopf in sein Büro. «Hm. Und selbst?»
Rolf blickt mich mit vielsagendem Blick über den Brillenrand an und verdreht die Augen. «Meine Schwiegermutter ist zu Besuch
und hat das Kommando an sich gerissen. Da hilft nur flüchten.» Ich atme kurz durch.
Rolf lehnt sich zurück und streckt die Arme über dem Kopf. «Hast du schon gefrühstückt? Wir könnten ins Café
Cappuccino
gehen, die gestressten Familien beim vorweihnachtlichen Einkaufsbummel beobachten und uns dabei in aller Ruhe ein französisches
Frühstück einverleiben.»
Er steht bereits auf, um seine Jacke zu holen.
|256| Warum eigentlich nicht? Sicher stirbt es sich mit vollem Magen besser.
«Klar doch, ist ’ne gute Idee.»
Wir lassen das Licht brennen und stellen das Telefon auf sein Handy um, falls seine Frau einen Kontrollanfall bekommt.
In der Stadt herrscht reges Treiben, was mich daran erinnert, dass ich das Weihnachtsfest, sofern ich es noch erleben sollte,
dieses Jahr wohl allein werde begehen müssen.
In den letzten Jahren habe ich den Heiligabend gern damit verbracht, gemeinsam mit Luke in einer Kneipe rumzuhängen, um bei
unzähligen Whisky-Cola herkömmliche Weihnachtslieder mit schmutzigen Texten zu versehen. Aber selbst das wird dieses Jahr
nicht stattfinden, da Luke sicherlich gerade mit meiner Mutter einen Tannenbaum kauft und danach den Speiseplan für die Feiertage
zusammenstellt.
Würg. Ach nein. Heute werden sie keinen Baum kaufen, denn heute hat meine Mutter Geburtstag. Heute werden sie vermutlich schon
mal probeweise Gänsebrüstchen verschlingen und danach sektschlürfend wieder in der Koje verschwinden.
I-gitt!
Aber bitte. Sollen sie doch, solange ihnen der Appetit noch nicht vergangen ist. Denn wenn ich erst mal an gebrochenem Herzen
verendet bin und das Uni-Klinikum sich meldet, um zu erfahren, wohin sie mit meinen sterblichen Überresten sollen, dann werden
die beiden garantiert keinen Bissen mehr runterkriegen. Hah!
Gerade als ich anlässlich meiner eigenen Beerdigung |257| feuchte Augen bekomme, holt Rolf mich ins Leben zurück.
«Hier?»
Er deutet auf einen Platz
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