Kein Spaß ohne Hanni und Nanni
mich nicht mal hier in Frieden lassen?“
„Machst du das öfter?“, fragte Marianne und schloss die Tür hinter sich. „Sag schon. Es hat sich sehr gut angehört. Kannst du denn all die Rollen auswendig?“
„Ja, das kann ich“, sagte Carla. „Ich spiele gern Theater, schon immer. Aber Frau Quentin übergeht mich jedes Mal. Dabei könnte ich die Rollen viel besser spielen als manche andere. Soll ich dir zeigen, wie ich an Bobbys Stelle gesprochen hätte?“
Und bevor Marianne antworten konnte, begann Carla Bobbys Rolle zu spielen. Aber sie spielte nicht nur die Rolle, sie war jene Person. Das kleine Unglücksmädchen verschwand und ein ganz neuer Mensch kam zum Vorschein, jemand mit einer klangvollen Stimme, einem starken Charakter und einem temperamentvollen Gesicht. Es war unwahrscheinlich!
Marianne starrte Carla sprachlos an. Ihr Erstaunen und ihre Bewunderung waren so deutlich, dass Carla noch eine andere Rolle spielte – diesmal Carlottas. Und sie war auch viel besser als Carlotta; ihre sonst so schüchterne, unscheinbare Stimme klang wild und feurig.
„Carla! Du bist einfach einmalig! Komm mit und spiel drunten vor den anderen. Das hätte ich nie von dir erwartet! Du musst es der Klasse vorführen – die werden vor Staunen den Mund nicht zukriegen!“
„Nein“, wehrte Carla ab und wurde wieder die kleine verängstigte Maus. Sie schien richtig zu schrumpfen.
„Carla“, sagte Marianne, die sich plötzlich erinnerte, warum sie auf den Dachboden gestiegen war, „Carla, wie geht es deiner Mutter? Hast du gute Nachrichten?“
„Nein“, erwiderte Carla. „Meine Mutter ist so krank, dass sie mir nicht einmal mehr schreiben kann. Wenn ich doch nur manchmal einen Brief von ihr bekäme!“
„Erhält sie deine Briefe?“, fragte Marianne.
„Natürlich“, entgegnete Carla. „Ich schreibe ihr immer, wie sehr ich sie vermisse und wie allein und verlassen ich mich fühle ohne sie.“
„Wie albern von dir, Carla“, sagte Marianne.
„Was meinst du damit?“, fragte Carla entrüstet. „Meine Mutter will das wissen.“
„Ich glaube, es wäre viel leichter für sie, wenn sie sähe, dass du dich hier gut einlebst und dich glücklich fühlst“, meinte Marianne. „Sie muss sich ja schrecklich um dich sorgen, wenn du ihr dauernd etwas vorjammerst. Das greift ihre Gesundheit nur noch mehr an.“
„Das ist nicht wahr.“ Carlas Augen füllten sich mit Tränen. „Wenn sie denken müsste, ich sei glücklich hier, dann würde sie sicher meinen, ich sei auf dem besten Weg, sie zu vergessen.“
„Du bist dumm, Carla“, sagte Marianne. „Möchtest du nicht, dass deine Mutter stolz auf dich ist? Wenn du immer heulst und jammerst, muss sie ja denken, du seist ein schrecklicher Feigling.“
„Du bist einfach widerwärtig!“, schrie Carla. „Als ob das meine Mutter je von mir dächte, niemals! Geh jetzt! Und wenn du den anderen erzählst, was du hier gesehen hast, werde ich sehr böse. Das ist mein Geheimnis, verstehst du! Lass mich allein!“
Marianne sah Carlas wütendes Gesicht. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte alles falsch angepackt, das war klar. Ich habe einfach kein Geschick, mit Menschen umzugehen, dachte sie, als sie ernüchtert die Treppe hinunterstieg. Ich muss noch eine Menge lernen.
Marianne ging zur Bibliothek, um sich ein Buch zu holen. Während sie mit den Augen die Regale absuchte, hörte sie nicht auf, an Carla zu denken. Wenn sie ihr nicht helfen konnte, so konnte es doch vielleicht jemand anders. Hilda zum Beispiel. Sie war immer so klug und vernünftig. Oder Bobby – oder die Zwillinge! Marianne beschloss ihnen zu erzählen, was sich ereignet hatte. Vielleicht fanden sie einen Ausweg. Marianne hatte Glück. Sie entdeckte Hilda zusammen mit Bobby, Jenny und den Zwillingen im Musikzimmer.
Die Klasse erlebt eine Enttäuschung
„Entschuldigt bitte“, sagte Marianne und steckte ihren Kopf durch die Tür des Musikzimmers. „Kann ich euch einen Augenblick stören?“
„Ich denke schon“, meinte Bobby. „Wo brennt‘s denn?“
„Ich komme wegen Carla“, erwiderte Marianne und dann berichtete sie, wie sie das Mädchen auf dem Dachboden angetroffen hatte. Alle schauten sie an.
„Nun“, sagte Hilda, die gespannt zugehört hatte. „Ich glaube, du hast dich ganz richtig verhalten. Carla sollte tatsächlich mit dem Jammern aufhören. Es wäre besser für ihre Mutter, wenn sie die Beruhigung hätte, dass sich Carla eingewöhnt hat und bei uns
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