Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Grund und Boden stampfen.«
Er sah mich aufgebracht an, machte sich aber nicht die Mühe, es abzustreiten. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Geben Sie mir zwei Stunden.«
»Wozu?«
»Zwei Stunden«, wiederholte ich.
Er dachte darüber nach. »Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Sagen Sie mir, wer Lisa Sherman ist.«
Das stellte mich vor ein echtes Rätsel. »Ich kenne den Namen nicht.«
»Sie sollten gestern Abend mit ihr zusammen in einem Flugzeug das Land verlassen.«
Elizabeth.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, beharrte ich. Der Fahrstuhl war da. Die Tür glitt zur Seite. Die Mutter mit den geschürzten Lippen und ihr schlaffer Sohn traten hinein. Sie drehte sich zu uns um. Mit einer Geste deutete ich an, dass sie die Tür noch einen Moment für mich aufhalten sollte.
»Zwei Stunden«, sagte ich.
Carlson nickte widerstrebend. Ich sprang in den Fahrstuhl.
40
»Du kommst zu spät!«, rief der kleine Fotograf Shauna mit seinem affektierten französischen Akzent zu. »Und du siehst aus wie - comment dit-on? - wie etwas, das man die Toilette hinunterspült.«
»Du mich auch, Frédéric«, fauchte Shauna zurück, ohne zu wissen, ob er so hieß - es war ihr in diesem Moment auch vollkommen egal. »Wo kommst du überhaupt her? Brooklyn?«
Er warf die Hände in die Luft. »Ich kann so nicht arbeiten!«
Aretha Feldman, Shaunas Agentin, eilte herbei. »Keine Sorge, François. Unser Visagist wird Wunder an ihr vollbringen. Wenn sie kommt, sieht sie immer furchtbar aus. Wir sind gleich wieder da.« Aretha packte sie fest am Ellbogen, ohne dass ihr Lächeln schwand.
Mit gedämpfter Stimme sagte sie zu Shauna: »Was zum Teufel ist denn mit dir los?«
»Lass den Scheiß.«
»Fang jetzt nicht an, die Primadonna zu spielen.«
»Ich hab’ne harte Nacht hinter mir, okay?«
»Nein, überhaupt nicht okay. Setz dich da auf den Schminkstuhl.«
Als der Visagist Shaunas Gesicht sah, schnappte er vor Schreck nach Luft.
»Was sind das denn für riesige Tränensäcke? Machen wir jetzt Werbung für Samsonite?«
»Haha.« Shauna wollte sich setzen.
»Ach ja«, sagte Aretha. »Das hier hat jemand für dich abgegeben.« Sie hielt ihr einen Umschlag hin.
Shauna warf einen Blick darauf. »Was ist das?«
»Keine Ahnung. Ist vor zehn Minuten per Kurier für dich angekommen. Er hat gesagt, es wäre dringend.«
Sie gab Shauna den Umschlag. Shauna nahm ihn in die Hand und drehte ihn um. Sie sah die vertraute Handschrift auf der Vorderseite - nur ein einziges Wort, »Shauna« - und spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.
Ohne den Blick von der Schrift abzuwenden, sagte sie zu Aretha: »Moment noch.«
»Wir haben jetzt keine Zeit …«
»Moment.«
Visagist und Agentin traten zur Seite. Shauna riss den Umschlag auf. Eine weiße Karte mit einer kurzen handgeschriebenen Notiz fiel heraus. Sie lautete: »Geh zur Toilette.«
Shauna versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Sie stand auf.
»Was ist?«, fragte Aretha.
»Ich muss pinkeln«, verkündete Shauna und war selbst überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang. »Wo ist hier das Klo?«
»Den Flur entlang auf der linken Seite.«
»Bin gleich wieder da.«
Kurz darauf stand Shauna vor der Tür der Damentoilette. Sie ließ sich nicht öffnen. Shauna klopfte. »Ich bin’s«, sagte sie und wartete.
Nach ein paar Sekunden hörte sie, wie der Riegel zurückgeschoben wurde. Dann war es wieder still. Shauna holte tief Luft und drückte wieder gegen die Tür. Sie ging auf. Shauna trat auf die Fliesen und blieb wie angewurzelt stehen. Vor der Kabine am anderen Ende des Raums stand ein Geist.
Shauna unterdrückte einen Schrei.
Die dunkle Perücke, der Gewichtsverlust, die Metallbrille konnten sie nicht täuschen.
»Elizabeth …«
»Schließ die Tür ab, Shauna.«
Shauna gehorchte, ohne nachzudenken. Als sie sich wieder umdrehte, trat sie einen Schritt auf ihre alte Freundin zu. Elizabeth wich zurück.
»Bitte nicht. Wir haben keine Zeit.«
Shauna war wohl zum ersten Mal in ihrem Leben sprachlos.
»Du musst Beck davon überzeugen, dass ich tot bin«, sagte Elizabeth.
»Das fällt dir aber früh ein.«
Ihr Blick schweifte durch den kleinen Raum, als suche sie nach einem Fluchtweg. »Es war ein Fehler, zurückzukommen. Ein riesiger, hirnverbrannter Fehler. Ich kann nicht bleiben. Du musst ihm sagen …«
»Wir haben den Obduktionsbericht gelesen, Elizabeth«, unterbrach Shauna sie. »Diesen Geist kriegt man nicht wieder in die Flasche
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