Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
die ich geblickt hatte, seit ich sieben Jahre alt war.
Es war Elizabeth. Sie lebte noch.
Wieder spürte ich, wie mir die Tränen in die Augen schießen wollten, aber diesmal unterdrückte ich sie. Komisch. Ich hatte immer schon nah am Wasser gebaut, aber nach der Trauer um Elizabeth konnte ich nicht mehr weinen. Es war nicht so, dass ich mich ausgeweint hätte, dass ich keine Tränen mehr in mir gehabt hätte oder ähnlicher Unsinn. Auch war ich nicht vom Kummer abgestumpft, obwohl das ein ganz klein wenig dazu beigetragen haben könnte. Meiner Meinung nach habe ich während der Entführung unwillkürlich eine Abwehrhaltung eingenommen. Als ich von Elizabeths Tod erfuhr, öffnete ich mich voll und ganz, ließ mich vom Schmerz durchdringen. Ich erlaubte mir, ihn bis ins Letzte zu durchleben. Und das tat weh. Es tat so ungeheuer weh, dass jetzt ein Urinstinkt einen Schutzmechanismus aufgebaut hat, der so etwas kein zweites Mal zulässt.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß. Vielleicht eine halbe Stunde. Ich versuchte ruhiger zu atmen und meine Gedanken zu ordnen. Ich wollte überlegt vorgehen. Musste ich auch. Eigentlich hätte ich schon bei Elizabeths Eltern sein sollen, aber im Augenblick konnte ich mir nicht vorstellen, ihnen entgegenzutreten.
Dann fiel mir noch etwas ein.
Sarah Goodhart.
Sheriff Lowell hatte gefragt, ob mir der Name etwas sagte. Das tat er.
Elizabeth und ich hatten damals als Kinder ein Spiel. Vielleicht haben Sie es auch gespielt. Man macht seinen zweiten Vornamen zum Rufnamen und nimmt den Namen der Straße, in der man aufgewachsen ist, als Nachnamen. Mein vollständiger Name lautet zum Beispiel David Craig Beck, und ich bin in der Darby Road aufgewachsen. Demzufolge war ich Craig Darby. Und Elizabeth war …
Sarah Goodhart.
Was zum Teufel ging hier vor?
Ich nahm den Telefonhörer ab. Zuerst rief ich Elizabeths Eltern an. Sie wohnten noch im gleichen Haus an der Goodhart Road. Ihre Mutter war am Apparat. Ich sagte ihr, dass ich mich verspäten würde. Bei Ärzten akzeptieren die Menschen das. Es ist einer der kleinen Vorteile dieses Berufs.
Als ich Sheriff Lowell anrief, erreichte ich nur seine Mailbox. Ich sagte ihm, er könne mich bei Gelegenheit anpiepen. Ich habe kein Handy. Damit gehöre ich zu einer Minderheit, aber mir ist die Verbindung zur Außenwelt schon durch den Pieper viel zu eng.
Ich lehnte mich zurück, doch Homer Simpson holte mich durch ein weiteres Die Post ist da! aus meiner Trance. Ich schoss nach vorne und schnappte mir die Maus. Die Adresse des Absenders kannte ich zwar nicht, aber im Betreff stand Street Cam . Wieder ein dumpfer Schlag in meiner Brust.
Ich klickte auf das kleine Icon und die E-Mail erschien:
Morgen gleiche Zeit plus zwei Stunden bei Bigfoot.com . Du erhältst eine Nachricht unter:
Username: Bat Street
Passwort: Teenage
Darunter, an der Unterkante des Monitors, hingen noch fünf Worte:
Sie beobachten dich. Kein Sterbenswort.
Larry Gandle, der Mann mit der schlecht kaschierten Glatze, sah Eric Wu beim Saubermachen zu.
Wu, ein 26-jähriger Koreaner mit einer schwindelerregenden Anzahl Piercings und Tätowierungen am ganzen Körper, war der tödlichste Mensch, dem Gandle je begegnet war. Wu war gebaut wie ein kleiner Panzer, aber das allein besagte nicht viel. Gandle kannte viele Leute mit ähnlichem Körperbau. Doch meist waren die Muskeln nur Show und ansonsten ziemlich nutzlos.
Bei Eric Wu war das anders.
Die eisernen Muskeln waren schön und gut, aber das eigentliche Geheimnis von Wus tödlicher Kraft lag in seinen schwieligen Händen - zwei Zementblöcken mit stählernen Klauen. Er trainierte sie stundenlang, schlug gegen Betonklötze, setzte sie extremer Hitze und Kälte aus und machte Serien von Liegestützen auf jeweils einem Finger. Wenn Wus Finger in Aktion traten, richteten sie unvorstellbare Verheerungen in Knochen und Gewebe an.
Über Männer wie Wu gingen finstere Gerüchte um, von denen die meisten Unsinn waren, doch Larry Gandle hatte gesehen, wie Wu einen Mann umgebracht hatte, indem er ihm seine Finger in die weichen Stellen in Gesicht und Unterleib grub. Er hatte gesehen, wie Wu einen Mann an beiden Ohren packte und sie mit einer einzigen gleichmäßigen Bewegung abpflückte. Er hatte ihn vier Mal auf vier verschiedene Arten töten sehen, und dabei hatte Wu nie eine Waffe verwendet.
Und keines der vier Opfer war schnell gestorben.
Niemand wusste genau, woher Wu kam, am glaubwürdigsten klang jedoch die
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