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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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nicht«, erwiderte ich. »Das ist nicht das Problem.«
    Sie beugte sich zu mir. »Was dann?«
    Ich konnte nicht sprechen. Ich wollte. Ihr zuliebe. Sie sah mich mit ihren innerlich zersprungenen Augen an, und ihr Bedürfnis, über ihre Tochter zu reden, war so akut, so unübersehbar. Trotzdem konnte ich es nicht. Ich schüttelte den Kopf.
    Ich hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Wir drehten uns um und richteten uns auf, wie zwei Liebende, die man in flagranti erwischt hatte. Hoyt Parker öffnete die Tür und rief den Namen seiner Frau. Er trat ins Wohnzimmer und stellte laut seufzend eine Sporttasche ab. Seine Krawatte war gelockert, das Hemd zerknittert, die Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Hoyt hatte Unterarme wie Popeye. Als er uns auf der Couch sitzen sah, seufzte er noch einmal, diesmal nachdrücklicher und mit mehr als einem Anflug von Missfallen.
    »Wie geht’s, David?«, fragte er.
    Wir schüttelten uns die Hände. Sein Händedruck war wie immer kratzig von den Schwielen und zu fest. Kim entschuldigte sich und verließ das Zimmer. Hoyt und ich tauschten ein paar Höflichkeitsfloskeln aus, dann wurde es still. Hoyt Parker hatte sich in meiner Gegenwart nie wohl gefühlt. Vielleicht spielte da ein kleiner Elektra-Komplex mit hinein, aber ich glaube, er hat mich immer als Bedrohung gesehen. Ich verstand das. Seine kleine Tochter hatte ihre ganze Zeit mit mir verbracht. Im Lauf der Jahre war es uns gelungen, diese Abneigung ein wenig zurückzudrängen, und wir hatten eine Art rivalisierender Freundschaft aufgebaut. Bis zu Elizabeths Tod.
    Er gibt mir die Schuld für das, was passiert ist.
    Das hat er natürlich nie so gesagt, doch ich sehe es in seinen Augen. Hoyt Parker ist ein stämmiger, kräftiger Mann. Absolut zuverlässig, ein waschechter Amerikaner. In seiner Gegenwart hatte Elizabeth sich immer uneingeschränkt sicher gefühlt. Hoyt hat diese Beschützer-Aura. Solange Big Hoyt an ihrer Seite war, würde seiner Kleinen nichts passieren.
    Ich glaube nicht, dass Elizabeth sich bei mir jemals so sicher gefühlt hat.
    »Auf der Arbeit alles okay?«, fragte Hoyt.
    »Alles bestens«, sagte ich. »Und bei dir?«
    »Noch ein Jahr bis zur Rente.«
    Ich nickte und wir hüllten uns wieder in Schweigen. Auf der Fahrt hierher hatte ich beschlossen, nichts von dem zu sagen, was ich auf dem Computermonitor gesehen hatte. Nicht weil es durchgeknallt klang. Nicht weil es alte Wunden aufreißen und beiden höllisch wehtun würde. Tatsache war, dass ich nicht den geringsten Schimmer hatte, was da eigentlich vorging. Je mehr Zeit verging, desto unwirklicher kam es mir vor. Außerdem hatte ich mich entschieden, mir die letzte E-Mail zu Herzen zu nehmen. Kein Sterbenswort. Ich hatte zwar keine Ahnung, wieso nicht und was das Ganze sollte, aber dieser wie auch immer hergestellte Kontakt schien entsetzlich fragil zu sein.
    Trotzdem achtete ich sorgfältig darauf, dass Kim außer Hörweite war, bevor ich mich zu Hoyt hinüberbeugte und flüsterte: »Kann ich dich was fragen?«
    Er antwortete nicht, sondern sah mich stattdessen mit seinem typischen skeptischen Blick an.
    »Ich möchte wissen …«, ich brach ab. »Ich möchte wissen, wie ihr sie vorgefunden habt.«
    »Sie vorgefunden?«
    »Ich meine, als ihr damals im Leichenschauhaus wart. Was habt ihr da gesehen?«
    Etwas ging in seinem Gesicht vor. Als würden winzige Explosionen das Fundament erschüttern. »Herrgott noch mal, warum interessiert dich das?«
    »Ist mir bloß so durch den Kopf gegangen«, sagte ich lahm. »Wegen des Jahrestags und so.«
    Unvermittelt stand er auf und wischte sich mit den Handflächen über die Hose. »Willst du einen Drink?«
    »Gern.«
    »Bourbon?«
    »Prima.«
    Er ging zu einem alten Getränkewägelchen am Kamin - wo die Fotos standen. Ich sah zu Boden.
    »Hoyt«, probierte ich es noch einmal.
    Er schraubte eine Flasche auf. »Du bist Arzt«, sagte er und zeigte mit einem Glas auf mich. »Du hast mehr als eine Leiche gesehen.«
    »Ja.«
    »Dann weißt du, wie Tote aussehen.«
    Das tat ich.
    Er brachte mir meinen Drink. Ich griff etwas überhastet danach und trank einen kräftigen Schluck. Er sah mich an und hob sein Glas an die Lippen.
    »Ich weiß, ich habe dich nie nach den Einzelheiten gefragt«, setzte ich an. Mehr noch, ich hatte sie bewusst gemieden. Andere Angehörige des Opfers, wie die Medien uns nannten, hatten sich darin gesuhlt. Sie waren jeden Tag bei KillRoys Prozess erschienen, hatten zugehört

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