Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Millionen Dollar gespendet. Viele reiche Freunde hatten den Betrag schnell aufgestockt. Griffin war nicht dumm. Er wusste, dass viele spendeten, um sich bei ihm einzuschmeicheln. Doch das war nicht alles. Während seines allzu kurzen Lebens hatte Brandon Scope die Menschen berührt. Die Natur hatte den Jungen von Geburt an mit so viel Glück und Talent beschenkt, dass er ein fast überirdisches Charisma besaß. Die Menschen fühlten sich zu ihm hingezogen.
Randall, Griffins anderer Sohn, war ein guter Junge gewesen und zu einem guten Mann herangewachsen. Aber Brandon … Brandon hatte einen Zauber in sich getragen.
Wieder erfasste ihn der Schmerz. Er war natürlich nie ganz verschwunden. Inmitten des Händeschüttelns und Schulterklopfens war der Kummer immer an seiner Seite, tippte Griffin auf den Arm, flüsterte ihm ins Ohr, erinnerte ihn daran, dass sie Partner fürs Leben waren.
»Tolle Party, Griff.«
Griffin sagte Danke und ging weiter. Die Frauen waren gut frisiert und trugen Kleider, die hübsche nackte Schultern betonten; sie passten gut zu den vielen Eisskulpturen - ein Steckenpferd seiner Frau Allison -, die langsam auf importierten Leinentischtüchern dahinschmolzen. Auf die Mozart-Sonate folgte eine von Chopin. Kellner mit weißen Handschuhen drehten ihre Runden mit Silbertabletts voll Shrimps aus Malaysia, Rinderfilets aus Omaha und einem Sortiment eigenartiger Snacks, bei denen eingelegte getrocknete Tomaten offenbar nie fehlen durften.
Er trat zu Linda Beck, der jungen Dame, die den Vorsitz von Brandons Stiftung innehatte. Lindas Vater war ebenfalls ein alter Klassenkamerad in Newark gewesen, und sie war, wie so viele, irgendwie mit dem riesigen Scope-Besitz verbunden. Schon in der Highschool hatte sie angefangen, für verschiedene Scope-Unternehmen zu arbeiten. Sowohl ihre als auch die Ausbildung ihres Bruders waren mit Scope-Stipendien finanziert worden.
»Sie sehen umwerfend aus«, sagte er zu ihr, obwohl er eigentlich den Eindruck hatte, dass sie etwas erschöpft wirkte.
Linda Beck lächelte ihm zu. »Vielen Dank, Mr Scope.«
»Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mich Griff nennen sollen?«
»Mindestens hundert Mal«, antwortete sie.
»Wie geht’s Shauna?«
»Ich fürchte, sie ist zurzeit nicht ganz auf dem Posten.«
»Richten Sie ihr meine besten Wünsche aus.«
»Mach ich, vielen Dank.«
»Wir sollten uns nächste Woche mal unterhalten.«
»Ich lass mir von Ihrer Sekretärin einen Termin geben.«
»Gut.«
Griffin gab ihr einen Kuss auf die Wange. In diesem Moment erblickte er Larry Gandle im Foyer. Larry wirkte ungepflegt, sein Blick war verschleiert, andererseits sah er eigentlich immer so aus. Man konnte ihn in einen maßgeschneiderten Joseph-Abboud-Anzug stecken, trotzdem sah er nach einer Stunde aus, als hätte er sich gebalgt.
Larry Gandle sollte eigentlich nicht hier sein.
Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Larry nickte einmal und wandte sich ab. Griffin wartete noch ein paar Sekunden und folgte seinem jungen Freund dann den Flur hinunter.
Larrys Vater Edward war ebenfalls ein Klassenkamerad von Griffin in Newark gewesen. Vor zwölf Jahren war Edward Gandle überraschend an einem Herzanfall gestorben. Jammerschade. Edward war ein guter Mann gewesen. Seitdem hatte sein Sohn die Rolle als engster Vertrauter der Scopes übernommen.
Die beiden Männer traten in Griffins Bibliothek. Früher war die Bibliothek ein wunderschöner Raum aus Eiche und Mahagoni gewesen, mit Bücherregalen bis unter die Decke und antiken Globen. Vor zwei Jahren hatte Allison in einem Anfall von Postmodernismus beschlossen, dass der Raum eine Runderneuerung brauchte. Sie hatte das Holz herausreißen und den Raum weiß, glatt und funktionell einrichten lassen, so dass er jetzt die Atmosphäre eines Dienstzimmers ausstrahlte. Allison war so stolz auf ihr Werk gewesen, dass Griffin es nicht übers Herz gebracht hatte, ihr zu sagen, wie furchtbar er es fand.
»Gab es heute Abend irgendwelche Probleme?«, erkundigte sich Griffin.
»Nein«, sagte Larry.
Griffin bot Larry einen Platz an. Larry ignorierte ihn und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen.
»War es schlimm?«, fragte Griffin.
»Wir mussten sichergehen, dass damit wirklich alles erledigt ist.«
»Natürlich.«
Jemand hatte Griffins Sohn Randall angegriffen - also schlug Griffin zurück. Diese Lektion würde er nie vergessen. Man lehnt sich nicht zurück, wenn jemand unter Beschuss gerät, den man liebt. Und man benimmt
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