Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
genommen hatte.
Passte das?
Er grübelte gerade darüber nach, als sein Handy klingelte. »Carlson.«
»Wir haben was«, meldete Stone.
Carlson legte die Akte zur Seite. »Was?«
»Beck. Er hat einen Flug von JFK nach London gebucht. Die Maschine geht in zwei Stunden.«
»Ich bin schon unterwegs.«
Tyrese legte mir die Hand auf die Schulter, als wir nebeneinanderher gingen. »Miststücke«, sagte er zum zigsten Mal. »Denen kann man einfach nicht trauen.«
Ich schwieg.
Im ersten Moment war ich überrascht gewesen, dass Tyrese Helio Gonzales so schnell aufgespürt hatte, aber das Netzwerk der Straße ist ebenso gut entwickelt wie jedes andere. Wenn Sie einen Broker bei Morgan Stanley bitten, herauszufinden, wie man einen seiner Kollegen von Goldman Sachs erreichen kann, ist die Sache in ein paar Minuten erledigt. Wenn Sie mich bitten, einen Patienten an einen beliebigen Kollegen im gleichen Staat zu überweisen, genügt ein Anruf. Warum sollte das bei Straßenganoven anders sein?
Helio war gerade von einem vierjährigen Gefängnisaufenthalt im Norden des Staates zurückgekehrt, den man ihm für einen bewaffneten Raubüberfall verordnet hatte. Genauso sah er auch aus. Sonnenbrille, Kopftuch, ein weißes T-Shirt und darüber ein Flanellhemd, von dem er nur den obersten Knopf geschlossen hatte, so dass es wie ein Cape oder ein Paar Fledermausflügel um ihn herumwehte. Die aufgerollten Ärmel zeigten die kräftige Knast-Muskulatur mit grobschlächtigen Knast-Tätowierungen auf dem Unterarm. Knastmuskulatur ist unverkennbar. Sie ist glatter, gemeißelter als ihr schwammiges Pendant aus den Fitness-Studios.
Wir saßen irgendwo in Queens auf der Treppe vor einem Haus. Genauer kann ich es nicht sagen. Ein südamerikanischer Rhythmus brachte meinen Brustkorb zum Schwingen. Dunkelhaarige Frauen in zu eng anliegenden Spaghettiträger-Tops schlenderten vorbei. Tyrese nickte mir zu. Ich betrachtete Helio. Er grinste höhnisch. Ich ließ seine Erscheinung auf mich wirken, worauf mir sofort ein Wort in den Sinn kam: Abschaum. Unbelehrbarer, gefühlloser Abschaum. Wenn man ihn ansah, wusste man sofort, dass er eine Spur der Zerstörung hinterlassen würde. Die Frage war nur, wie breit sie war. Mir war klar, dass das keine sehr barmherzige Sichtweise war. Mir war auch klar, dass man über Tyrese das Gleiche sagen konnte, wenn man nur aufgrund der äußeren Erscheinung urteilte. Das kümmerte mich nicht. Elizabeth mochte an die Rettung der auf der Straße Verrohten und der moralisch Heruntergekommenen geglaubt haben. Ich musste in diesem Punkt noch an mir arbeiten.
»Sie sind vor ein paar Jahren wegen des Mordes an Brandon Scope verhaftet worden«, fing ich an. »Ich weiß, dass Sie wieder rausgekommen sind, und ich will Ihnen keinen Ärger machen. Aber ich muss die Wahrheit wissen.«
Helio nahm seine Sonnenbrille ab. Er sah Tyrese an. »Hast du mir etwa’nen Cop angeschleppt?«
»Ich bin kein Cop«, sagte ich. »Ich bin der Mann von Elizabeth Beck.«
Ich wartete auf eine Reaktion. Er zuckte mit keiner Wimper.
»Sie hat Ihnen damals das Alibi verschafft.«
»Ich weiß, wer sie ist.«
»War sie an diesem Abend mit Ihnen zusammen?«
Helio ließ sich Zeit. »Yeah«, sagte er dann langsam und lächelte mir mit gelben Zähnen zu. »Sie war die ganze Nacht bei mir.«
»Sie lügen«, sagte ich.
Wieder sah Helio Tyrese an. »Was soll der Scheiß, Mann?«
»Ich muss die Wahrheit wissen«, beharrte ich.
»Glauben Sie, ich hab diesen Scope umgebracht?«
»Ich weiß, dass Sie’s nicht getan haben.«
Das überraschte ihn.
»Was soll der Scheiß?«, fragte er wieder.
»Ich möchte, dass Sie mir etwas bestätigen.«
Helio wartete.
»Waren Sie an jenem Abend mit meiner Frau zusammen, ja oder nein?«
»Was wollen Sie hören, Mann?«
»Die Wahrheit.«
»Und wenn die Wahrheit ist, dass sie die ganze Nacht bei mir war?«
»Das ist nicht die Wahrheit«, sagte ich.
»Wieso sind Sie sich da so sicher?«
Tyrese mischte sich ein. »Sag dem Mann, was er wissen will.«
Wieder ließ Helio sich Zeit. »Es ist so gewesen, wie ich gesagt hab. Ich hab sie gevögelt, alles klar? Tut mir Leid, Mann, aber so war’s halt. Wir haben’s die ganze Nacht getrieben.«
Ich sah Tyrese an. »Lass uns einen Moment allein, okay?«
Tyrese nickte. Er stand auf und ging zum Wagen. Dort verschränkte er die Arme und lehnte sich neben Brutus an die Beifahrertür. Ich wandte mich an Helio.
»Wo sind Sie meiner Frau zum ersten Mal
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