Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
möglich zu Ende gebracht. Dazu kam, dass es, äh, Schwierigkeiten mit der Aussage Ihrer Frau gab.«
»Was für Schwierigkeiten?«
»Am Anfang hat sie gewissermaßen gelogen.«
Weiteres Strampeln. Ich ging unter. Kam wieder an die Oberfläche. Strampelte.
»Was erzählen Sie da?«
»Ihre Frau hatte behauptet, sie hätte mit Gonzales zum Zeitpunkt der Tat im Büro der Stiftung eine Berufsberatung durchgeführt. Das hat ihr eigentlich niemand abgenommen.«
»Wieso nicht?«
Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch. »Berufsberatung um elf Uhr nachts?«
Ich nickte benommen.
»In meiner Funktion als Verteidiger von Mister Gonzales habe ich Ihre Frau darauf hingewiesen, dass die Polizei ihr Alibi überprüfen würde. Dass zum Beispiel in den Korridoren Sicherheitskameras angebracht seien und es Videobänder von den Leuten geben könnte, die gekommen und gegangen waren. Da hat sie dann ausgepackt.«
Er brach ab.
»Reden Sie weiter«, sagte ich.
»Es ist doch ganz offensichtlich, oder?«
»Sagen Sie es mir trotzdem.«
Flannery zuckte die Achseln. »Sie wollte sich - und Ihnen, nehme ich an - die Peinlichkeit ersparen. Deshalb hat sie auf Geheimhaltung bestanden. Sie war in Gonzales’ Wohnung, Dr. Beck. Sie sind schon seit zwei Monaten miteinander ins Bett gegangen.«
Ich reagierte nicht. Niemand sagte etwas. In der Ferne hörte ich einen Vogel krächzen. Vermutlich den aus dem Wartezimmer. Ich stand auf. Tyrese trat einen Schritt vor.
»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben«, sagte ich mit der ruhigsten Stimme der Welt.
Flannery nickte den Rollos zu.
»Und es stimmt nicht«, fügte ich hinzu.
Er antwortete nicht. Doch das hatte ich auch nicht erwartet.
33
Carlson setzte sich in den Wagen. Seine Krawatte saß immer noch perfekt. Sein Jackett hatte er allerdings ausgezogen und auf einen Holzbügel an den Haken über dem Rücksitz gehängt. Die Klimaanlage leistete Schwerstarbeit. Er las die Aufschrift auf dem Umschlag des Obduktionsberichts: Elizabeth Beck, AZ 94-87002. Er öffnete den Umschlag, nahm den Inhalt heraus und breitete ihn auf dem Beifahrersitz aus.
Was hatte Dr. Beck gesucht?
Die logische Antwort hatte Stone ihm schon gegeben: Beck wollte nachsehen, ob etwas in dem Bericht stand, das ihn belastete. Diese These passte perfekt in ihre vorläufige Theorie. Und schließlich hatte Carlson selbst damit angefangen, den jahrelang akzeptierten Tathergang des Mordes an Elizabeth Beck in Frage zu stellen. Es war seine Idee gewesen, dass Dr. Beck, der Ehemann, den Mord an seiner Frau geplant hatte.
Und warum glaubte er jetzt nicht mehr daran?
Er hatte sich gewissenhaft mit den Ungereimtheiten auseinander gesetzt, die diese Theorie zu untergraben drohten, aber Stone hatte sie ebenso überzeugend widerlegt. Und ein paar Ungereimtheiten gab es schließlich bei jedem Fall. Das wusste Carlson. Dass alles perfekt zusammenpasste, kam einfach nicht vor. Wenn es doch einmal vorkam, konnte man zehn zu eins darauf wetten, dass man etwas übersehen hatte.
Und wieso zweifelte er dann an Becks Schuld?
Vielleicht hatte es damit zu tun, dass der Fall einfach zu eindeutig geworden war, sämtliche Indizien plötzlich perfekt ineinander griffen und alles in ihre Theorie passen wollte. Vielleicht basierten seine Zweifel aber auch auf so etwas Unzuverlässigem wie Eingebung - wobei Carlson wirklich kein Anhänger dieses Aspekts der Ermittlungsarbeit war. Die Eingebung wurde oft herbeizitiert, wenn jemand ungestört herumpfuschen wollte, sie diente als pfiffige Technik, um Beweise und Fakten durch vages, nebulöses Zeug zu ersetzen. Carlson wusste, dass die schlechtesten Ermittler sich vor allem auf ihre Intuition verließen.
Er sah sich das Deckblatt an. Allgemeine Daten. Elizabeth Parker Beck. Ihre Adresse, ihr Geburtsdatum (zum Zeitpunkt ihres Todes war sie 25 gewesen), weiß, weiblich, ein Meter sechzig groß, 45 Kilo schwer, schlank. Eine erste Untersuchung am Fundort hatte ergeben, dass die Leichenstarre bereits wieder abgeklungen war. Sie hatte Blasen auf der Haut und aus den Körperöffnungen traten Flüssigkeiten aus. Das besagte, dass das Eintreten des Todes mehr als drei Tage zurücklag. Der Tod war durch eine Stichwunde in der Brust verursacht worden. Sie war am Blutverlust und starken inneren Blutungen durch eine Verletzung der dorsalen Aorta gestorben. Außerdem hatte sie Schnittwunden an Handflächen und Fingern, die laut Protokoll auf die Verteidigung gegen einen Angriff mit einem
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