Kein Tod wie der andere
er sich sicher. Und er würde weiter vorsichtig und vorbereitet sein, falls sie dabei wider Erwarten doch erfolgreich sein sollten. Er überlegte eine Weile, bis er wusste, was als Nächstes zu tun war. Kurze Zeit später fuhr er zur Arbeit.
* * *
Nanette Bonitzer stand schon zehn Minuten am Straßenrand. Sie wollte, aber sie konnte nicht weiterfahren. Die Meldung im Autoradio traf sie mit voller Wucht. Sie hatte die Nachricht gehört, aber nicht verstanden. Das durfte doch nicht sein, das hatte sie nicht gewollt, wirklich nicht gewollt. Sie war doch extra noch einmal zurückgefahren, hatte nachgeschaut. Aber da war doch nichts mehr gewesen. Konnte sie etwa …? Nein, das konnte doch nicht sein.
Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Und legte den Kopf auf das Lenkrad. Was sollte sie jetzt tun? Sie erschrak, als jemand vorsichtig auf das Autodach klopfte. Ein anderer Autofahrer hatte gehalten und fragte sie, ob alles in Ordnung sei. Sie gab an, dass ihr nur ein wenig unwohl sei, sie aber sicher gleich wieder losfahren könne. Dazu zwang sie sich dann auch. Wendete ihr Auto und machte sich wieder auf den Heimweg. Sie überlegte in alle Richtungen, kreuz und quer und fand keine Antwort. Sie musste versuchen, einen klaren Kopf zu kriegen, durfte jetzt nicht aufgeben. Auch nicht, wenn man ihre Leiche gefunden hatte. Als sie wieder an ihrem Elternhaus angelangt war, wollte ihre Mutter gerade ins Büro fahren. Nanette teilte ihr mit, dass ihr schlecht sei, und meldete sich auf der Arbeit krank. Dann legte sie sich ins Bett, und ihre Gedanken kreisten weiter.
* * *
Hannah Sobothy hatte am Vorabend noch lange im Sender gesessen und mehrere Beiträge zu den Todesfällen und deren Hintergründen produziert. Sie wusste, dass sie heute ständig im Radio zu hören sein würde. Die Nacht über hatte sie kein Auge zugemacht. Hatte die ganze Zeit nachgedacht, was jetzt zu tun sei. Die gute Steff hatte das wohl gespürt, vielleicht auch etwas gehört. Gegen drei Uhr war sie in ihr Zimmer gekommen und hatte gefragt, wie sie helfen könnte. Aber Steff konnte ihr nicht helfen. Vielmehr musste sie aufpassen, dass sie ihre Freundin nicht mit in die Sache hineinzog. Jetzt saß sie in einem ihrer Sessel, hatte einen großen Pott Kaffee mit viel Milch in der Hand und wusste immer noch nicht, ob sie es wirklich tun sollte, ob sie es wirklich wagen sollte. Aber sie war Journalistin, es war ihre Chance. Mit der Zeit drang noch etwas anderes in ihr Bewusstsein und wurde immer vordergründiger: Sie fühlte sich ihm gegenüber in der Pflicht.
Der Kaffee war schon lange kalt, als sie sich endlich entschlossen hatte. Ja, sie würde es tun, es zumindest versuchen. Aber sie musste vorsichtig sein. Die Entscheidung verfestigte sich mit jeder weiteren Minute und war unumstößlich, als sie am späten Morgen in der Redaktion eintraf.
* * *
Sun Shiwen saß am Schreibtisch in seiner Arbeitswohnung und überlegte. Er war auf die Meldung gestoßen, als er wie jeden Morgen, wenn er zu Hause in Suzhou war, die Internetausgaben der europäischen Zeitungen nach relevanten Artikeln sondierte. Diese Entwicklung entsprach nicht seinen Vorstellungen. Ganz und gar nicht. Sie hatten Ruhe benötigt, und jetzt konnte davon keine Rede mehr sein. Er musste herausfinden, was passiert und wer verantwortlich war, wissen, welche Rückschlüsse andere daraus ziehen konnten. Er hatte gehofft, sich gegenüber Thill klar genug ausgedrückt zu haben. Hatte der ihn falsch verstanden? Hatte der überhaupt etwas verstanden? Er überlegte, was er tun konnte. Eigentlich blieb ihm keine andere Wahl. Er musste wieder zurück, schon wieder. Aber diesmal würde er alles regeln. Vielleicht musste er nun auch seine Prioritäten verschieben. Durfte nicht für das Geschäft riskieren, entdeckt zu werden.
Er musste nicht mehr weiter überlegen, um zu wissen, was zu tun war. Er ging ins Schlafzimmer und kontrollierte seinen Koffer. Er ging ohne die erhoffte Pause wieder an die Arbeit.
* * *
Fernand Thill hatte nur kurz in die Zeitung geschaut. Dort stand auch diesmal nichts, was ihn wirklich interessierte. Sein letztes Treffen mit dem Chinesen ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte deutlich dessen Misstrauen gespürt, und es war klar, dass sein Geschäftspartner genau das beabsichtigt hatte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken. Er hatte doch alles so eingefädelt, wie sie es besprochen hatten. Und es lief gut, da konnte Shiwen doch sagen und denken, was er wollte.
Aber
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