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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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gelesen, dass man in Abchasien, ehedem eine kleine Sowjetrepublik am Schwarzen Meer, auf eine Art und Weise Domino spielt wie sonst nirgendwo. Man verwendet dort einen Dominosatz weniger (achtundzwanzig Doppel-Sechser-Steine) als Spieler teilnehmen: einen Satz Dominosteine für zwei Spieler, zwei Sätze für drei Spieler usw. Vor allem aber kann beim abchasischen Domino jeder Stein aus einer Kette wieder herausgenommen und erneut gespielt werden. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Spieler, nachdem er zweimal hintereinander einen Stein aus dem Vorrat gezogen hat, keinen seiner Steine setzen kann. Ist der Stein einmal aus der Kette genommen, entstehen somit zwei Ketten, an denen man unterschiedslos anlegen kann. Außerdem darf jeder Spieler, der über einen Doppelstein verfügt, diesen legen und damit eine neue, unabhängige Kette beginnen. Das Spiel ist einigermaßen komplex, bietet die Möglichkeit zu bluffen und ist beendet, sobald sich kein Stein mehr im Vorrat befindet. Eine durchschnittliche Partie kann sehr lange dauern.
    Yves will einen Roman mit sechs Personen schreiben. Er wird jeder dieser Personen eine Zahl des Dominos zuordnen,wobei die Null jeweils für eine Nebenfigur steht, die immer eine andere sein wird. Der Roman wird verlaufen wie eine Partie des abchasischen Dominos: Ein abgelegter Doppelstein zieht ein Kapitel mit nur einer Person nach sich, ein einfacher Stein ein Kapitel mit zwei Personen, ausnahmsweise auch drei Personen, wenn eine der Personen darin weder handelt noch zu Wort kommt. Ein interessanter Fall ist dabei die doppelte Null: In dem betreffenden Kapitel treten dann zwei Nebenfiguren auf – oder auch nur eine. Yves hat sich als Vorlage eine Partie gewählt, die sich im Jahre 1919, bei einem Turnier in Sukhumi, zwei Mannschaften mit jeweils zwei Spielern geliefert haben. Die Partie ist deswegen zu Ruhm gekommen, weil sie zwei Stunden gedauert hat, in deren Verlauf die Dominosteine 1 – 3 und 2 – 6 gleich mehrmals gespielt wurden und sich drei Ketten gebildet haben. Der abchasische Schriftsteller Dimitri Josifowitsch Gulia erwähnt die Partie in einer Rubrik, die er in den zwanziger Jahren in der Zeitung
Apsny
innehatte. Yves wird den Roman
Das abchasische Domino
nennen, aber nichts, was diese Struktur angeht, wird dem Leser erklärt werden. Dies umso mehr, als Yves schließlich niemals alle Regeln genau respektiert.
    Als er Anna das Konstruktionsprinzip erläuterte, hatte sie dafür nur ein Kopfschütteln übrig:
    – Viel zu kompliziert. Und unnütz. Du unternimmst wirklich große Anstrengungen, mein süßer Goj, damit deine Bücher sich nicht verkaufen. Und dann dieser Titel, den kann man sich nur schwer merken.
    – Ganz und gar nicht. Domino, das ist kindlich, und abchasisch, das weckt die Neugier.
    – Glaube ich nicht. Mach’s einfacher. In deinem Buch ist von Liebe die Rede?
    – Ja.
    – Dann denk dir einen Titel mit »Liebe« aus.
    Eines Tages entdeckt Yves in einer Buchhandlung neben der Kasse einen Stapel eines seiner Gedichtbände, darauf eine kleine, von Hand beschriebene Pappe: »Ihr Buchhändler empfiehlt«. Er weist Anna diskret darauf hin, amüsiert.
    – Siehst du, ein paar verkaufe ich doch.
    Anna ist entzückt. Ohne zu zögern spricht sie die Buchhändlerin an:
    – Wissen Sie, dass der Autor vor Ihnen steht?
    Yves ist sprachlos. Er könnte locker darüber lächeln, sich mit einem kleinen Scherz aus der Affäre ziehen, aber am liebsten würde er nur in einem Mauseloch verschwinden. Er macht abermals die »Kennedy-Affäre« durch, die der erdrückende Stolz seiner Mutter war. Er hatte gehofft, größer geworden zu sein.
    Anna hätte gern, dass er geselliger wäre, glanzvoller. Dabei wünscht sie sich weniger, dass er Erfolg hat, als dass er ihn haben will. Sie hatte ihm, durchaus verschämt, gestanden:
    – Wenn du berühmt wärst, würde ich bestimmt schon mit dir zusammenleben.
    Entmutigt hatte er den Kopf geschüttelt. Er erinnert sich an die hübsch bösartige Sentenz eines britischen Freundes, seines Zeichens Sammler von Oldtimern und Alimentenzahlungen. Dieser hatte, nachdem er ihm Anna vorgestellt hatte, gesagt:
    –
My dear
, dieses Mädchen ist ein Bugatti.
A lot of maintenance.
    An manchen Tagen passt ihr nichts. Das kann ein Bild an der Wand sein, »etwas spießig«, ein Buch in seinem Regal, »Sag mir nicht, dass dir das gefallen hat«, vier Pakete Spaghetti im Schrank, »Das darf doch nicht wahr sein, das ist ja schon manisch«, oder Yves’

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