Kein Wort mehr ueber Liebe
Komm zurück, Piette. Bitte.
– In mir ist ein großes Durcheinander. In meiner Unordnung gibt es einen Teil, der die anderen nicht um ihre Ordnung beneidet, und zu meinem Unglück gibt es auch diesen anderen Teil, der sie darum beneidet. Glaubst du, dass ich eines Tages glücklicher sein kann als heute?
– Ich schwöre es dir, meine Piette. Komm zurück.
– Du gibst mir Ruhe, Thomas, und ich liebe dich, und meine Eltern lieben dich auch, sie wollen, dass du mich rettest, weil sie es nie geschafft haben. Warum habe ich manchmal so viel Lust zu leben und auch, schon tot zu sein? Warum?
– Ich liebe dich Piette, du machst mir Angst.
– Ich will nicht sterben. Ich schwöre es dir.
Piette greift nach Thomas’ Hand, er zieht sie an sich, schließt sie fest in seine Arme, der Abgrund ist weit entfernt. Tränen fließen über ihrer beider Wangen. Sie zittert noch.
– Wenn die Krankheit mich umbringt, kümmerst du dich dann um die Kinder, Thomas?
– Sei still, Piette. Wir werden in fünfzig Jahren wiederkommen und uns diesen Aquädukt mit unseren Kindern und Enkeln anschauen.
– Und auch mit unseren Urenkeln?
Piette fröstelt, sie schweigt. Sie gehen zum Landhaus zurück, zur Feier, wo schon getanzt wird. Thomas dreht sich um und betrachtet den steinernen Aquädukt, die Schlucht und die Ölbäume in der Sonne, fast schon ein Cezanne. Er sieht dies alles zum letzten Mal.
All seine Liebe wird seine Piette nicht retten und auch ihre Melancholie nicht besiegen können. Fünfundzwanzig Jahre lang war der ganze Weg, den Thomas durchlaufen hat, nur darauf ausgerichtet, zielte seine ganze Wissenschaft und Kunst nur darauf ab: das Leben einer jungen Toten zu retten. Die Analyse hat ihm geholfen, Boden unter die Füße zu bekommen, aber akzeptiert hat er es niemals.
Thomas stellt das Foto auf seinen Schreibtisch zurück. Wenn Piette sich in diesem Augenblick zu ihm hindrehte,sähe sie ein zärtliches Lächeln auf den Lippen ihres Thomas’. Irgendetwas hat sich verändert, denn jetzt kann er sich auch leichten Herzens an sie erinnern.
EPILOG
Zeit wird vergangen sein. Sie wird ihr Werk verrichtet haben. Ein Jahr, zwei Jahre, vielleicht mehr.
Es ist ein Abend im
New Morning
, in Paris. Yves Janvier wird das
Abchasische Domino
, das jetzt anders heißt, beendet haben. Er wird Annas Rat befolgt haben: Die Liebe wird im Titel stehen. Mit diesem Buch, oder irgendeinem anderen, wird er – wie sein neuer Verleger sagen wird –
sein
Publikum finden. Diese Feier wird anlässlich des Erscheinens stattfinden.
Alle anderen werden auch da sein. In alphabetischer Reihenfolge, denn irgendeine Ordnung muss sein: Anna, Louise, Romain, Stan, Thomas. Für die Anwesenheit eines jeden wird es einen guten Grund geben.
Anna wird ihre Einladung eine Woche zuvor, an einem Samstagmorgen in der Rue Érasme erhalten haben. Da Annas Name und Adresse aufgedruckt sind, wird Stan ganz aus Gewohnheit den anonymen Briefumschlag geöffnet haben. Der Name Yves Janvier wird ihn zunächst stutzig machen, dann wird er sich fangen und seiner Frau die Einladungskarte reichen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sie wird ihre Tasse abstellen, und er wird sehen, dass sie sich ihrerseitsgenauso unbeteiligt gibt. Er wird ihr für diese taktvolle Lüge dankbar sein. Anna wird lediglich sagen:
– Yves Janvier? Das ist ein Freund. Ich gehe hin.
Aber die Aussprache seines Namens wird ihr einen Schauer über den Rücken jagen.
Aus Provokation wird Stan sagen:
– Ich gehe mit. Wir werden jemanden für die Kinder bestellen.
Anna wird nichts hinzufügen. Sie wird von etwas anderem sprechen. Eine Minute später wird sie ihre Tasse fallen lassen.
Louise wird Thomas begleiten. Er wird Yves im Jahr zuvor im Anschluss an eine Lesung kennengelernt haben, als er ihn um eine Widmung bat. Der Schriftsteller wird, als er den Namen hörte, zu ihm aufgeblickt und mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen gesagt haben:
– Sie sind nicht etwa der Analytiker einer Freundin?
– Sie hat ihre Analyse beendet, wird Thomas’ Antwort lauten.
Die beiden Männer werden von nun an Freunde sein, wirkliche Freunde. Aber jedes Mal, wenn Yves ihm von Anna erzählen wird, von dieser Wehmut, die nicht sterben will, wird Thomas sich sehr bedeckt halten.
Was Romain angeht, so wird es für seine Anwesenheit eine einfache Erklärung geben. Er wird seit kurzem Herausgeber einer populärwissenschaftlichen Reihe im selben Verlagshaus sein, in dem auch Yves’ Bücher erscheinen.
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