Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
nicht auch den Eindruck hätte, du wärst komisch,
und wann Marleen nun wiederkommt. Und ob es sein könnte, dass sie keine Lust mehr hat, die Pension zu führen.«
Dass mein Vater die wilden Vermutungen, die er anstellte, nie für sich behalten konnte, machte mich wahnsinnig. Und dann noch
Gisbert von Meyer.
»Und was hast du gesagt?«
»Nichts.« Ungeduldig sah er mich an. »Glaubst du, ich lasse mich über meine Chefin ausfragen? Für wen hältst du mich? Es wäre
nur sehr nett, wenn ich mal informiert würde. Auch wenn ich der letzte Ahnungslose bin.«
Jetzt war er beleidigt. Und ich hatte einen Entschluss gefasst. Wir hatten Gesa eingeweiht, wir würden das Gleiche mit Pierre
machen müssen.
»Also gut.« Ich setzte mich neben ihn auf den Schreibtisch. »Es gibt ein Problem. Aber außer meiner Schwester, Gesa und mir
kennt es niemand.«
»Adelheid auch nicht? Deine Eltern? Gisbert von Meyer?«
»Nein, niemand. Wir wissen nämlich nicht, wann Marleen zurückkommt. Und ich habe ihr versprochen, mit niemandem darüber zu
reden. Aber vielleicht musst du auch ins Vertrauen gezogen werden. Es ist folgendermaßen …«
Plötzlich hörten wir herannahende Schritte, dann wurde die Tür aufgerissen, und Jurek platzte ins Büro.
»Ach, da bist du. Ich brauche den Kellerschlüssel, der Getränkelieferant ist da.«
Pierre warf ihm den Schlüsselbund zu. »Hier, ich komme gleich nach.«
Geschickt fing Jurek ihn auf. »Danke. Und Christine, deine Schwester sucht dich. Du sollst sofort in die Rezeption kommen,
es ist dringend. Bis später.«
Ich stand schon, wartete kurz, bis Jurek verschwunden war, und drehte mich zu Pierre um.
»Komm doch nachher zu Ines und mir, nach dem Abendessen. Ich habe jetzt keine Lust, zwischen Tür und Angel alles zu erzählen.
Okay?«
»Gut.«
Er nickte. Als ich am Fenster vorbei zur Rezeption lief, kauerte er immer noch nachdenklich auf dem Schreibtisch.
Ines saß vor dem offenen Fenster auf der Fensterbank der Rezeption und rauchte. Erschrocken blieb ich in der Tür stehen.
»Was ist passiert?«
»Mach die Tür zu, es zieht sonst rein.« Sie schnipste die Asche raus und blickte mich an. »Setz dich vor den Rechner und lies
mal die E-Mail , die Papa geschrieben hat. Aber brüll nicht gleich los.«
Ich sparte mir vorerst die Frage, wie mein Vater dazu komme, sich an diesen Rechner zu setzen, um Mitteilungen zu schreiben.
Mit einem unguten Gefühl drehte ich den Bildschirm näher zu mir.
Lieber Johann,
Du wunderst Dich sicher und zu Recht darüber, dass ich Dir eine E-Mail schreibe, aber es ist ja doch die schnellste Art der Kontaktaufnahme, da ich Deine Telefonnummer nicht
besitze und ich meine Tochter aus verständlichen Gründen nicht danach fragen kann. Deine E-Mail -Adresse hingegen hat Jurek hier im Computer gefunden, die ist wohl noch drin, weil Du mal Gast in dieser Pension warst. Ich
hoffe ja sehr, dass die stimmt, aber Kalli hat gemeint, dass man E-Mails überall, also auch in Schweden, abrufen kann. Das weiß er von seiner Tochter Katharina, die ist nämlich im Moment in Spanien,
und sogar da kommen die E-Mails , die Hanna ihr manchmal schreibt, immer an. Das ist schon doll, was die Technik alles bringt.
Aber ich schweife ab. Ich schreibe Dir, weil ich aus verschiedenen Gründen sehr besorgt bin. Wie soll ich das jetzt schildern?
Vielleicht einfach der Reihe nach. Also:
1. Christine pflegt anscheinend Internetbekanntschaften. Ich finde es ja sowieso nicht gut, dass sie allein in dieser Wohnung
hockt, da kommt man wohl auf so drollige Gedanken. Jedenfalls ist hier wohl einer dieser Internetmänner aufgetaucht. Äußerst
gut aussehend, wenn ich das mal so als Mann sagen darf, und auch noch freundlich. Sie streitet allerdings alles ab, aber als
Vater denkt man ja mit.
2. Du weißt bestimmt, dass Frauen niemals ihre erste Liebe vergessen. Christines erste Liebe hat sich hier plötzlich ein Zimmer
genommen. Es ist wohl doch offizieller als wir alle wussten, weil er gleich seine Mutter mitgebracht hat. Sie heißt Frau Hansen
und hat mir überhaupt alles gesagt, tja, Eltern halten eben zusammen. Tom und Christine waren in ihrer Jugend zusammen, was
ich, ehrlich gesagt, gar nicht mitbekommen habe. Aber damals war ich auch noch voll im Berufsleben und hatte wenig Zeit für
die Kinder. Frau Hansen hatte wohl viel Zeit, sie hat mir haarklein erzählt, was damals passiert ist, und Du glaubst nicht,
wie mich das entsetzt
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