Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
allein geführt hatte. Seit Schulzeiten war sie die beste Freundin von Marleens
Tante Theda, die beiden fuhren auch ab und zu gemeinsam in den Urlaub. Dann hatte Adelheid vor vier Jahren in einer Fernsehquizshow
125 000 Euro gewonnen. Mit diesem Geld hatte sie ihre Pension in ein sehr elegantes Zweifamilienhaus umgebaut, von der Terrasse über
den Kamin, von der teuren Küche bis zum eleganten Bad, es war alles vom Feinsten. Nachdem das Haus so schön geworden war,
wollte sie nicht mehr an Feriengäste vermieten: »Die ruinieren dann gleich wieder das Parkett und die edlen Fliesen, und die
teuren Armaturen sind sofort wieder voller Kalkflecken. Nein danke, damit ist jetzt Schluss.«
Stattdessen nahm sie einen Dauermieter, der aktuelle war Gisbert von Meyer. »Ein angenehmer junger Mann. Raucht nicht, lärmt
nicht, schmutzt nicht. Ganz prima.«
Ein Jahr lang freute sie sich über ihr neues Haus und den prächtigen Garten, dann fing sie an, sich zu langweilen.Manchmal fuhr sie bei ihrer Freundin Theda vorbei, saß in deren Küche und wollte alles über die Gäste wissen. Irgendwann schlug
Theda vor, Adelheid könne ihr ein bisschen helfen. Damit Theda auch in der Saison einmal Zeit für sich hätte. Adelheid nahm
den Vorschlag nach kurzem Widerstand an. Aber im Grunde hatte sie es nicht mehr nötig, und außerdem dürfe sie nur eine bestimmte
Summe zu ihrer Rente dazuverdienen, sie wolle ja nun nicht fürs Finanzamt arbeiten. Deshalb kam sie nie den ganzen Tag, sondern
immer nur für ein paar Stunden.
Als Theda vor zwei Jahren die Pension an ihre Nichte übergab, war Adelheid regelrecht eingeschnappt. Nicht über den Wechsel,
sondern darüber, dass Theda sich in ihrem Alter noch einmal verliebt hatte. Sie fand das ungehörig und strafte ihre Freundin
wie auch deren Nichte erst mal mit Nichtachtung. Aber nach einem Jahr überkam sie wieder die Langeweile und die Neugier auf
die Gäste. So fuhr sie Vormittag für Vormittag mit dem Fahrrad bei Marleen vorbei, bis diese sie irgendwann einmal zum Kaffee
einlud. »Na ja«, hatte sie vorhin im Garten erzählt, »und dann saß Marleen da, und ich fand, dass sie wirklich schlecht aussah.
Sie hatte Augenringe und war so mager geworden. Was sollte ich tun? Ich bin ja kein Unmensch.«
Seither kam sie wieder. Meistens vormittags und nie länger als fünf Stunden. Wie gesagt, sie hatte es eigentlich nicht mehr
nötig. Adelheid war keinesfalls irgendeine Angestellte. Adelheid war die Königin. Und im Moment sehr erbost, dass Marleen
ihre Pension für so ein Projekt überhaupt zur Verfügung stellte. Eine Geschichte in einer Zeitschrift! Was war das für ein
Blödsinn! Und alles auf dem Rücken der Gäste, weil Ines und ich doch gar nicht ahnten, wie viel Arbeit so ein Betrieb macht.
In Gedanken stimmte ich ihr zu, einen Moment lang erwog ich, sie doch in alles einzuweihen. Es wäre die einfachste Lösung,
dass Adelheid das Regiment übernahm.
Aber bevor ich etwas sagen konnte, holte Adelheid Luft und stieß eine wahre Tirade auf das ungebührliche Verhalten von Theda
aus.
»Das ist alles nur passiert, weil sie sich in ihrem Alter noch mal auf einen Mann eingelassen hat. Schippert die tatsächlich
durchs Mittelmeer, als ob es hier nichts zu tun gäbe. Die beiden sind alte Leute, kann man sich da nicht anständig benehmen?
Ich verstehe ja, dass junge Menschen auch mal verrückte Sachen machen. Wenn ich noch daran denke, was ich mit Wilhelm alles
angestellt habe …«, sie schüttelte lächelnd den Kopf, dann wurde sie sofort wieder ernst, »aber wir waren zwanzig. Da sind wir auch schon
mal heimlich zum Tanzen gegangen, aber man wird doch auch älter. Und dann benimmt man sich entsprechend. Das kommt alles,
weil die Alten immer noch so tun, als wären sie Gott weiß wie flott. Nein, nein, ich finde das unmöglich.«
Bei dem Gedanken, was sie zu der Nachricht von Marleen und Björn im Knast sagen würde, bekam ich Schüttelfrost. Nie im Leben
konnten wir sie einweihen.
Endlich war ich an der »Weißen Düne« angelangt. Das Lokal lag am Ende des Strandaufgangs, ein dunkelbraunes Holzhaus mit einer
breiten Terrasse, auf der Strandkörbe, lange Tische und Bänke standen. Ich bekam im ersten Strandkorb einen Platz und griff
zur Speisekarte. Nachdem ich mir einen Milchkaffee bestellt hatte, blätterte ich weiter und überflog das Angebot in der Hoffnung,
das eine oder andere Gericht für die Pension nachkochen zu
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