Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
angefangen.«
»Warum bist du so früh hier?«
»Guntram frühstückt gerne zeitig.«
»Aha.«
»Was heißt hier ›aha‹?« Missbilligend sah sie mich an. »Er ist Gast. Er kann frühstücken, wann er will.«
»Ich sag ja gar nichts.« Lächelnd ging ich an ihr vorbei. »Üb rigens , Adelheid, du hast Lippenstift am Zahn. Bis gleich.«
Meine Schwester kam gerade aus dem Bad, als ich die Wohnungstür aufschloss. Ich hatte bereits auf der Treppe überlegt, was
ich machen sollte, um die ungute Stimmung nach der gestrigen Diskussion aufzuhellen.
»Ich hätte gleich einen Suchtrupp losgeschickt«, sagte Ines, während sie mit einem Handtuch ihre Haare trockenrubbelte. »Sag
bloß, du bist gelaufen? Brauchst du jetzt ein Sauerstoffzelt?«
Erleichtert knotete ich meine Schuhbänder auf. »Ich habe überhaupt keine Kondition mehr.« Ich kickte die Schuhe von den Füßen
und sah sie an. »Wegen gestern Abend, ich …«
»Vergiss es.« Ines warf das Handtuch auf den Badezimmerschrank und ging in ihr Zimmer. »Ich kann keinen Rotwein vertragen.
Ich fange dann immer an zu diskutieren. Heute Abend trinke ich Bier. Dein Gesicht sieht übrigens aus, als würdest du gleich
explodieren.«
Sie verschwand im Zimmer, ich blickte ihr nach und war wieder einmal dankbar, dass meine Schwester nie nachtragend war. Ich
hingegen schon, über den Kuss von Gregor Morell würden wir noch mal in Ruhe reden müssen.
Im Frühstücksraum war bereits alles fertig, als ich eine halbe Stunde später eintraf. Adelheid drehte in der Küche den Deckel
einer Thermoskanne zu.
»Wo ist Ines denn jetzt wieder hin? Ihr könnt erst mal einen Kaffee trinken. Drüben ist alles fertig.«
Erstaunt sah ich sie an. Sie bemerkte meinen Blick und verfiel sofort in ihren gewohnt schroffen Tonfall.
»Oder wollt ihr den Gästen drüben im Weg stehen? Kaffee findet ihr auf dem Tisch. Du kannst Gesa Bescheid sagen, sie ist unten.«
Ich nahm mir vor, demnächst ein Buch von Guntram Bernd zu lesen. Der Mann musste ein Zauberer sein.
Gesa stand regungslos vor der Tür zum Frühstücksraum und zuckte zusammen, als ich sie ansprach. Als sie sich umdrehte, erschrak
ich. Sie war blass und hatte dunkle Augenringe.
»Was hast du denn gemacht? Du siehst aus, als hättest du …«
Schlagartig wurde mir klar, woher Jurek heute Morgen gekommen war. Gesa wohnte in der Tannenstraße, er war aus dieser Richtung
gekommen. Dabei hatte ich gedacht, Gesa hätte einen Freund in Oldenburg.
»Als hätte ich was?« Sie riss sich so augenscheinlich zusammen, dass sie mir fast leidtat.
»… nicht geschlafen«, beendete ich meinen Satz und lächelte sie verschwörerisch an. »Ich habe Jurek heute Morgen getroffen. War
es denn nett?«
Gesa schaute mich mit kleinen müden Augen an, seufzte und schob die Hände in ihre Jeanstasche.
»Nett? So kann man das auch nennen. Aber ich bin so brutal müde, dass ich gar nicht denken kann.«
»Geht das denn schon länger?«
»Was?«
»Das mit dir und Jurek? Und wie macht ihr das, wenn du in zwei Wochen weg bist?«
Verständnislos warf Gesa mir einen kurzen Blick zu, bevor sie die Küchentür öffnete.
»Christine, das war jetzt nicht die Nacht der Nächte. Wir sind ein bisschen versackt, gestern Abend, und dann hat es sich
so ergeben. Ich weiß im Moment noch nicht einmal, ob es sich wiederholt. Und jetzt brauche ich einen Kaffee. Was ist? Kommst
du mit?«
Nachdenklich folgte ich ihr in die Küche und fragte mich, ob ich tatsächlich so spießig war, wie ich mich gerade fühlte.
Wir hatten die zweite Tasse Kaffee noch nicht ganz ausgetrunken, als Adelheid in die Küche kam, ihren Kittel auszog und sich
mit den Händen das Haar sortierte.
»So«, sagte sie, »den Rest macht ihr bitte. Ich gehe.«
»Jetzt schon?«, fragte Gesa und richtete ihren Blick auf die Wanduhr. »Es ist halb neun.«
»Na und?« Adelheid kramte aus ihrer blauen Einkaufstasche einen kleinen Spiegel und ihren Lippenstift hervor. »Ich will mit
Guntram Bernd zum Leuchtturm wandern. Recherche.« Sie lächelte geheimnisvoll und spitzte die Lippen vor dem Spiegel. »Ich
habe ja wohl auch ein Anrecht auf Privatleben.«
Wir beobachteten schweigend, wie sie sich unbeholfen die Lippen nachzog, den Stift und den Spiegel wieder wegpackte und uns
ansah. Das Rot auf der Unterlippe war intensiver als das auf der Oberlippe. Dafür war nichts am Zahn.
»Natürlich«, beeilte ich mich zu sagen. »Viel Spaß und bis
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