Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
guckte verständnislos. »Firma?«
»Da draußen.« Ungeduldig wartete ich auf die Antwort. »Ihr müsst die doch gesehen haben.«
»Wir haben niemanden gesehen.« Meine Mutter schob sich eine Scheibe Schinken in den Mund und kaute. »Wir haben gar keine Zeit,
nach draußen zu gucken. Du hast ja überhaupt keine Ahnung, wie viel Arbeit die Siebzigerjahre machen. Habt ihr Pumpernickel
bekommen?«
»Ist alles noch im Auto. Wo sind denn Ines und Gesa? Irgendjemand muss was mitbekommen haben.« Ich war schon wieder halb draußen.
»Im Garten.« Hanna öffnete die nächste Spargeldose. »Und wenn du rausgehst, nimm mal zwei Flaschen Bier für deinen Vater und
Kalli mit. Die haben bestimmt Durst nach der ganzen Arbeit.«
Von einer bösen Vorahnung erfüllt, blieb ich stehen und drehte mich sehr langsam um.
»Was für eine Arbeit?«
Unbekümmert sah meine Mutter mich an. »Wir haben sie rausgeschickt. Sie saßen uns wirklich nur im Weg rum. Wir haben ihnen
vorgeschlagen, mal zu gucken, ob es im Garten etwas zu tun gibt. Ein bisschen Unkraut jäten oder so.«
»Unkraut oder so?« Vollkommen erledigt lehnte ich mich an den Türrahmen. »Mama! Hast du mal rausgeguckt? Sie haben die ganze
Hecke abrasiert. Es sieht furchtbar aus.«
Meine Mutter stand umständlich auf und ging ans Fenster. »Tatsächlich. Hanna, das war kein Motorrad, das war eine Kettensäge.
Es ist wirklich ein bisschen viel runtergekommen. Na ja, wächst auch wieder nach. Wo ist nun bitte schön das Pumpernickel?«
Ich ließ sie stehen und ging nach draußen. Auf der Bankhinter der Rezeption saßen Ines und Gesa und teilten sich eine Zigarette. Meine Schwester hielt sie mir entgegen.
»Willst du mal ziehen? Wir haben es zu spät bemerkt. Drei Minuten nachdem die Säge anging, war die halbe Hecke schon weg.«
Ich nahm ihr die Zigarette aus der Hand. »Wenn das mit den Notfällen so weitergeht, bin ich in einer Woche Kettenraucherin.
Wo sind sie jetzt? Ich werde sie umbringen müssen.«
»Im Strandkorb.« Gesa deutete hinter das Haus. »Sie unterhalten sich mit einem Mann, keine Ahnung, wer das ist, vermutlich
ein Bekannter von Kalli. Sie sind übrigens bestens gelaunt.«
»Nicht mehr lange.« Ich zog noch einmal und gab meiner Schwester die Zigarette zurück. »Könnt ihr bitte Hans-Jörg beim Ausladen
helfen? Das ganze Auto ist voll. Er sitzt bestimmt noch drin und wartet auf eine Anweisung. Ich habe jetzt nicht die Nerven.«
Ines drückte den Zigarettenstummel sorgfältig in einem leeren Blumentopf aus und stand auf.
»Komm, Gesa, Kinderbetreuung ist mir immer noch lieber, als die Rentner fertigzumachen. Viel Erfolg, Christine. Bis später.«
Mein Vater saß neben Kalli im Strandkorb, beide trugen Blaumänner und hatten Zweige im Haar und auf den Klamotten. Ihnen gegenüber
saß ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte, der mich im Moment auch nicht sonderlich interessierte und auf dessen Vorstellung
ich nicht warten konnte. Dazu war ich zu ärgerlich. Er sah mir aufmerksam entgegen, ich nickte ihm nur knapp zu und baute
mich vor dem Strandkorb auf.
»Was ist eigentlich in euch gefahren? Das ist Beschädigung fremden Eigentums. Seid ihr nicht bei Trost?«
»Kind.« Mein Vater wischte ein Buchsbaumblättchen vonder Stirn und lächelte mich an. »Du bist ja vom Einkaufen zurück. Darf ich vorstellen? Das ist …«
»Nein.« Seine gute Laune machte mich noch ärgerlicher. »Das Stichwort ist Buchsbaumhecke. Also?«
»Heinz, ich habe dir doch gesagt, dass wir den Grünabfall nicht vor die Garage stapeln sollten.« Kalli wandte den Blick von
seinem Busenfreund ab und sah mich beschwichtigend an. »Wir räumen das gleich weg. Das musst du nicht selbst machen.«
Ich schnappte nach Luft. »Es geht nicht darum, wo der Abfall
liegt
, sondern dass es ihn überhaupt
gibt
. Ihr könnt nicht Marleens Hecke zerstören.«
Bildete ich es mir ein oder war der Bekannte von Kalli tatsächlich zusammengezuckt? Wenigstens hatte er ein schlechtes Gewissen.
Im Gegensatz zu meinem Vater.
»Zerstört! Das ist wie Kraut und Rüben gewesen. Keine klare Linie in der Beschneidung. Außerdem konnte man da nicht drüber
weggucken. Man sah doch nichts.«
»Papa, das war ja auch ein Sichtschutz. Der war über Jahre gewachsen, und ihr …«
Mir fiel keine Formulierung ein, die unfreundlich genug gewesen wäre.
»Entschuldigen Sie.« Der Besucher hatte meine Atempause genutzt und sich erhoben. »Ich möchte nicht länger
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