Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Zeit hat.
Du
bist aber nicht in Schweden. Und wenn Marleen nicht in diese blöde Situation geraten wäre, hättest du deinen Hintern auch
nicht hochgekriegt, um mit mir irgendwohin zu fahren. Ich finde das total bescheuert.«
»Bist du fertig?«
»Noch nicht ganz.« Ines zog ein Bein an. »Ich glaube, es liegt an deinem Kontrollwahn. Wie man mit einem Mann lebt, weißt
du, wie man es ohne ihn macht, nicht. Und das verursacht dir Unbehagen. Dabei kannst du das. Das hast du doch nach deiner
Scheidung auch hinbekommen.«
Ich fand, sie ging zu weit. Alleinlebende Frauen neigten dazu, andere Frauen zum Alleinleben zu überreden. Ob sie wollten
oder nicht.
»Ines, du hast keine Ahnung. Nur weil du im Moment keine Lust hast, dich zu verlieben, mache ich alles falsch, oder was?Das ist Hausfrauenpsychologie, wie sie sonst nur Papa betreibt. Völlig idiotisch.«
»Wer sagt denn, dass ich keine Lust habe, mich zu verlieben?« Sie machte eine kleine Pause. »Und was hat das damit zu tun,
dass du eine Beziehung führst, die dir überhaupt nicht mehr guttut? Du könntest wenigstens einmal darüber nachdenken.«
Kopfschüttelnd griff ich zu meinem Glas. Vielleicht hätte ich doch lieber zum Schlagerabend in die Bar gehen sollen. Dieses
Gespräch war fast so dämlich wie die Schlagertexte von Roland Kaiser.
»Ines, du kannst das überhaupt nicht beurteilen.«
Ich hatte keine Energie mehr, diese Unterhaltung fortzusetzen. Über Johann und mich wollte ich mir frühestens Gedanken machen,
wenn er am Wochenende kommen würde. Und auch dann nur, wenn es wieder schwierig würde.
»Ich kenne dich, seit ich auf der Welt bin.« Meine Schwester setzte sich gerade hin. »Ich habe viel mehr mitgekriegt als du
denkst. Und ich glaube, dass es dir sehr guttäte, wenn du deine überflüssige Kontrolle und Selbstverpflichtung für eine Zeitlang
an den Nagel hängen würdest. Meine Güte, Christine, manchmal denke ich, du bist nicht nur sieben Jahre älter als ich, sondern
lebst in einer anderen Generation.«
Es langte mir gründlich, ich stand auf. »Ines, ich habe null Bock, jetzt mit dir über Johann zu reden. Ich gehe Zähne putzen.«
Meine Schwester hatte noch nie schnell aufgegeben. »Wir reden auch nicht über Johann, sondern über dich. Sei einfach ein bisschen
lässiger und spontaner.«
Ich stand immer noch an derselben Stelle. »Du bist die Jüngere. Vielleicht hattest du es auch leichter. Du durftest doch immer
alles.«
Ines verdrehte die Augen. »Das ist
deine
Erinnerung. Gut, vielleicht waren Mama und Papa bei mir nicht mehr so streng,aber doch nicht, weil sie mich lieber mochten, sondern nur, weil sie mürbe waren. Sie hatten bei mir einfach keine Kraft mehr,
wieder von vorn anzufangen. Dafür haben sie bei jeder Kleinigkeit gesagt: ›Guck dir Christine an, die kann das auch.‹ Du hast
keine Ahnung, wie mir das auf den Geist ging. Und von deinen Klamotten, die ich auftragen musste, will ich gar nicht erst
anfangen. Am schlimmsten war dieser gelbe Anorak. Ich hasse heute noch Gelb.«
Ich verstand nicht, was sie zu diesem Ausbruch bewegt hatte. Ebenso wenig interessierte es mich.
»Wir sind erwachsen. Jetzt fang nicht mit diesen alten Geschichten an.«
»Du hast angefangen. Von wegen, ich hätte es immer leichter. Das ist komplett falsch. Ich habe dich darum beneidet, dass du
die Ältere warst. Ich war der Volltrottel vom Dienst. Ihr musstet auf mich aufpassen und seid sauer gewesen, und ich wurde
gar nicht gefragt.«
»Du wolltest ja immer mit. Ich ging mit einer Freundin in den Ferien zum Strand und musste dich dauernd mitnehmen.«
»Du hast mich aber nicht mitgenommen.« Ines sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den sie schon mit acht hatte. »Ihr habt
mir erzählt, wir spielen Winnetous Schwester und habt mich an den Wäschepfahl gebunden.«
Ich konnte mich nicht daran erinnern. »Wenigstens haben wir mit dir gespielt.«
»Ihr habt mich stehen gelassen und seid allein zum Strand stolziert. Ich wartete da fast eine Stunde. Bis Tante Inge kam.«
Jetzt fiel es mir wieder ein. Wir hatten Ines vergessen. Dafür bekam ich eine Woche Hausarrest. Mitten in den Ferien. Ich
verbiss mir das Grinsen.
»Es ist fünfunddreißig Jahre her. Ich entschuldige mich dafür. Und jetzt gehe ich ins Bett. Gute Nacht.«
»Christine?«
Ich hielt an der Tür an. »Was denn noch?«
»Du hast mich vorhin gefragt, was mit Gregor Morell war.«
»Und?«
»Er hat mich geküsst.«
Sehr langsam
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