Kein zurueck mehr
haben? Ich will sie ja gar nicht zu Thanksgiving einladen. Das wird eine Familiensache.«
Mirriams Lippen formen sich zu einem Halbmond, aber sie sieht nicht glücklich aus. Sie wirft einen Blick auf die Uhr und fragt mich, wann Christian wohl zurückkommen wird. »In einer Viertelstunde«, sage ich und sie verfällt in Hektik.
»Du benimmst dich echt komisch«, sage ich.
»Tu ich … nicht … oder? Ich mach mir nur Gedanken wegen der Zeit. Ich hab heute Abend noch ein Elterngespräch … am Telefon. War Lauren deine erste Freundin?«, fragt sie.
»Nein, aber Lauren war die einzige, die ich geliebt habe.«
Sie lächelt wieder und ich presse die Lippen aufeinander.
»Du denkst, ich bin sechzehn und hab keine Ahnung, was Liebe ist, stimmt’s?«
Sie schüttelt den Kopf, wieder das traurige Lächeln auf den Lippen. »Manchmal frage ich mich, ob das nicht die einzige Zeit im Leben ist, in der wir jemanden ganz und gar lieben können. Ohne Angst. Nach der ersten großen Trennung verschanzen wir uns, versuchen uns zu schützen.«
Jetzt legt sie wieder los.
»Worüber reden wir jetzt eigentlich? Über dich?«
»Nein, über Lauren. Wie ist sie so?«
Ich denke einen Moment nach. Wie soll ich Lauren beschreiben?
»Sie hat ein Rückgrat aus Stahl; sie kann ein bisschen kratzbürstig sein, weißt du, einfach weil sie weiß, was sie will, und sie hat keine Scheu, es sich auch zu nehmen.«
»Aha«, sagt sie, als wäre ihr gerade ein Licht aufgegangen.
»Was?«
»Nichts. Mir ist nur klar, warum dir ein Mädchen wie sie gefallen muss.«
»Und warum?«
»Na ja, sie ist nicht deine Mom.«
Ich knalle den Kartoffelschäler auf den Tisch. Es hilft auch nichts, dass ich weiß, wie recht Mirriam hat. Es ist mir nie aufgefallen, aber jetzt, dank unserer Amateur-Psychologin, sehe ich es auch. Jeder Moment, den ich mit Lauren verbracht habe – nichts als eine psychologische Notwendigkeit.
»Das hier ist aber nicht die Wir-analysieren-Jace-Stunde, okay? Ich meine, ich erzähle dir einfach was und du schaffst es gleich wieder, daraus eine Psychostunde zu machen. Lauren und ich waren nicht so; hinter unserer Beziehung stand mehr als Verzweiflung und Verkorkstheit«, sage ich.
»Okay.«
»Wir haben einander gutgetan.« Ihr Kopf trifft auf das Pflaster und ihre Stöckelschuhe suchen nach Halt . »Manchmal.«
»Warum habt ihr euch getrennt?«, fragt Mirriam.
»Warum reden wir darüber?« Ich nehme den Kartoffelschäler und ziehe ihn über die Haut einer Yukon Gold.
»Ich hab nur nach einem Gesprächsthema gesucht.«
»Wirklich? Warum erzählst du mir dann nicht von deinen Ex-Freunden? Warum hast du dich von ihnen getrennt?«, sage ich.
»Schon gut, schon gut. Ich hab’s kapiert. Aber ich glaube nicht, dass ich mich entschuldigen muss, wenn ich mir Sorgen um dich mache. Du musst zugeben, dass du aus einem schwierigen Umfeld kommst. Ich bin sicher, was auch immer dich zum Gehen bewogen hat, es war nicht einfach. Ich meine, was auch immer es –«
»Er hat mich rausgeschmissen. Du musst mich also nicht wie ein armes kleines Opfer behandeln, okay? Keine letzte große Züchtigung, keine Todesdrohung, kein Fluchtplan à la Hollywood«, sage ich.
»Na klar, das Ganze hatte absolut nichts Dramatisches.«
Ich sehe sie an. Sie hat die Arme verschränkt und lächelt mich an.
»Jace, ich verstehe, wenn du dich unwohl dabei fühlst, mit mir darüber zu reden, aber sieh zu, dass du mit irgendjemandem redest, okay? Ich meine, am besten wäre ein Erwachsener. Ich würde ja einen Therapeuten vor …«
Ich funkele sie wütend an und sie hebt die Hände und fährt fort: »Aber ich weiß, wie viel Begeisterung so ein Vorschlag auslösen würde. Also vielleicht Tom oder sogar Dakota.«
Ich denke an Dakotas Haus und daran, wie laut es dort war und wie alle lachten und ich trotzdem das Gefühl hatte, dass da etwas Stilles, Ruhiges, etwas Unzerstörbares war.
»Christian redet nie und er kommt gut zurecht.« Besser als ich auf jeden Fall.
»Nun, das sehe ich anders. Er hat ein paar handfeste Probleme und er –«
»Hey«, sage ich und zeige mit dem Kartoffelschäler auf sie. »Jetzt ist’s aber gut. Immerhin bin ich sein Bruder.«
Ihre Lippen zucken. Wieder dieser traurige kleine Halbmond.
»Mirriam, ist alles in Ordnung?«
»Ja. Du klingst nur genau wie er.«
Wirklich? »Vielen Dank.«
Sie guckt noch einmal auf die Uhr, hilft mir, den Truthahn in den Ofen zu schieben, und gibt mir Anweisungen, wie ich die Kartoffeln stampfen
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