Keine Angst vor Anakondas
Bäume, die infrage kommen. Es ist aber auch schlecht möglich, nachts mit Licht und allem Equipment nahe genug an einen nagenden Biber heranzukommen, um ihn bei seiner Arbeit zu filmen. Also greifen sie in die Trickkiste und buddeln einen kleinen Baum mitten auf einem viel genutzten Biberpfad nahe einem Damm ein. Um den Baum den Bibern so richtig schmackhaft zu machen, haben sie ihn sogar zusätzlich mit saftig beblätterten Zweigen behängt – eine der bevorzugten Speisen der Tiere. Und ebenjener Baum wird tatsächlich bereits in der zweiten Nacht umgelegt. Gut gelaunt und auf eine weitere schnelle Nummer hoffend, graben die Mitglieder der Crew den übrig gebliebenen Baumstumpf aus und setzen ein neues Bäumchen an dieselbe Stelle.
Mit der Abenddämmerung gegen 18 Uhr hat das Filmteam die umfangreiche und schwere Filmtechnik mit Lampen, Akkus, Kabeln und Kameras in die Nähe des Bäumchens geschleppt und sorgfältig aufgebaut. Dann legt es sich gut versteckt auf die Lauer und wartet auf das Erscheinen der Biber. Aber die Biber lassen sich zunächst Zeit. Uwe Müller und sein Team kämpfen gegen die Müdigkeit an. Nachts um drei Uhr beginnt es zu regnen. Sie bleiben, werden patschnass, frieren bewegungslos. Nicht einmal ein Zittern wollen sie sich erlauben. Als endlich ein paar Biber den See entlangschwimmen, sind sie sofort hellwach. Doch der einsame Baum interessiert die Biber heute nicht. Sie verschwinden, paddeln einfach davon. Erst im Morgengrauen, als die Biber sich zum Schlafen in ihre Burgen zurückziehen, von neuen großen Staudammprojekten träumen oder, noch wach liegend, die vorhandenen Baumreserven bilanzieren, packen Uwe Müller und sein Filmteam bibbernd und enttäuscht ihre Filmgerätschaften zusammen.
Auch die nächste Nacht schlägt sich der Tierfilmer wieder um die Ohren und wartet. Ein sternenklarer Himmel sorgt für gute Sicht und für Temperaturen nahe am Gefrierpunkt. Uwe Müller sitzt in seiner Tarnung und schaut auf das einsame Bäumchen auf dem Biberpfad am See. Ohnmächtig sieht er die ihm zur Verfügung stehende Zeit in Argentinien zwischen seinen Fingern zerrinnen, ohne dass er die wichtige Schlüsselszene eines fleißig nagenden Bibers im Kasten hat. Ein Biberfilm ohne nagenden Biber, das geht nicht. Das weiß auch Uwe Müller. Der Erfolg des Filmprojektes hängt jetzt also von einem Biber ab, der das Bäumchen fällt. Uwe Müller hat seine Ersparnisse in die Produktion des Films investiert, alles auf eine Karte gesetzt. Geld, mit dem er sich eine Weltreise oder eine Nobelkarosse hätte leisten können. Ohne die entscheidende Szene der Biber im Kasten zu haben, wird er den Film nicht verkaufen können. Seine eigene kleine Firma wird ohne den erhofften Erfolg pleitegehen. Die aber bedeutet seine Existenz als Tierfilmer und ist sein ganzer Lebensinhalt. Still und einsam steht das Bäumchen im Dunkeln. Dunkel sind auch Uwe Müllers Gedanken. Die Zeit beginnt zu kriechen. Erinnerungen holen ihn ein, wie es dazu kam, hier und jetzt frierend in Feuerland auf zwei Nagerzähne zu warten …
Sehnsucht nach der weiten Welt
Uwe Müller trieb die Sehnsucht nach der weiten Welt. Er war 1988 aus der DDR , wo er eine Lehre zum Installateur und ein Maschinenbaustudium absolviert hatte, in den Westen gekommen. In der DDR war es ihm nicht vergönnt gewesen zu reisen. Das holte er nun nach. Sein erster Trip führte ihn in die USA . Um die Reise zu dokumentieren, kaufte er sich eine Videokamera. Bis dato hatte er weder mit Fotografie noch mit Film etwas zu tun gehabt. 19 Stunden gedrehtes Material brachte er mit, stellte jedoch schnell fest, dass er dieses Elend niemandem zumuten konnte, nicht einmal seinen Reisebegleitern. Wild hatte er gezoomt, hin und her geschwenkt, verwackelt und abwechselnd Datum und Zeit eingeblendet. Das Ergebnis wurmte ihn kolossal. Er kaufte sich einen Videocutter und brachte sich den Umgang damit selbst bei. Er reihte die besten Szenen aneinander, sprach dazu einen Kommentar und untermalte alles mit Musik. Der Film war nun zwei Stunden lang. Jetzt versuchte er es noch einmal, und sein Publikum war hellauf begeistert. Das war die Initialzündung zu seiner erfolgreichen Karriere als Dokumentar- und Naturfilmer.
Die Filmerei und das Schneiden machten ihm mehr und mehr Freude. Naturfilme hatte er schon immer gemocht, doch jetzt begann er sie mit anderen Augen zu betrachten. Er analysierte nicht nur, wie sie wirkten, sondern auch, wie man sie drehte und später im Studio schnitt
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