Keine Angst vor Anakondas
einem ernsten Problem für die Populationen der Quastenflosser werden könnte. Die Tauchbootbesatzungen stellten fest, dass das Meer um die Komoren ziemlich leer gefischt ist. Wandern die Quastis also erst seit erdgeschichtlich kurzer Zeit zum Jagen in die Tiefe, weil sie weiter oben nicht mehr genug Beute machen können? Vielleicht führen sie ja gerade in beutearmen Bereichen ein Schattendasein, in dem Energie verbrauchende Hochleistungsfische nicht überleben könnten.
Zunehmend werden die Quastis auch Opfer von Tiefwassernetzen, die für die Jagd auf Haie ausgelegt werden. Dies geschieht insbesondere vor den Küsten Kenias und Tansanias. Vor allem kämpft Fricke gegen jeden Versuch, sie in Aquarien bringen zu wollen. Dann würde jeder Zoo einen haben wollen, und die große Treibjagd auf den Urfisch wäre eröffnet. Einmal steckte er mit dem Greifarm der Jago eine Nachricht in die Fangreuse von Japanern, die einen Quastenflosser fangen wollten. Darin stand der kurze Satz: »Lasst sie dort, wo sie sind.« Die Japaner waren not amused .
Die von den Wissenschaftlern angelegte Kartei mit dem Foto jedes der gesichteten Exemplare war eine wichtige Aufgabe: Die Daten bildeten später die Grundlage zur Höherstufung der Quastenflosser auf Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens ( CITES ); legale Ausfuhr und Einfuhr sind damit zumindest eingeschränkt.
Hans Fricke resümiert sein Lebenswerk: »Nicht akademische Karriere, Ruhm oder gar Reichtum bildeten den Antrieb, vielmehr Neugierde und die Chance, unter Wasser in einer Welt, die uns Erdenbürgern so wenig bekannt war, der Natur zusehen zu dürfen, sie verstehen zu lernen und ihre Rätsel zu lösen.« Die Begegnung mit »seinen« Fischen bewegte ihn tief: »Jedes Mal war ich beim Anblick der Quastenflosser aufgeregt«, berichtete er, »und jedes Mal spürte ich fast körperlich das Besondere dieses Augenblicks. Etwas Unwirkliches, Märchenhaftes, Weltfremdes und Entrücktes ging von ihnen aus.«
Rendezvous in der Tiefe
Die Hand geben konnten sich die beiden Nachfahren der devonischen Fischvertreter nicht. Vielleicht stellt sich der Quastenflosser auf den Kopf, um zu signalisieren, dass die moderne Welt kopfsteht und er beabsichtigt, die extrem beschleunigten Veränderungen unserer modernen Zeit in der finsteren Tiefe auszusitzen. Eine fiktive Unterhaltung zwischen den Nachfahren von Fisch 1 und Fisch 2 beim Rendezvous in 200 Metern Tiefe vor den Komoren hätte in etwa wie folgt ablaufen können:
»Hallo, Mensch in quietschgelbem Tauchboot!«
»Hallo, Quasti!«
»Du hast jetzt also keine Kiemen und Schuppen mehr!«
»Äh, nein …«
»Und ohne Flossen brauchst du jetzt dieses kleine gelbe Monstrum, um mich hier zu besuchen!«
»Ja, ja …«
»So wie es aussieht, hast du nun in deinem Tauchboot viel weniger Lebensraum als beim Treffen unserer Vorfahren vor 380 Millionen Jahren!«
»Immerhin haben wir es geschafft, in viele unwirtliche Lebensräume vorzudringen. Und auf dem Mond sind wir auch gelandet!«
»Wie fühlt es sich denn an auf dem Mond – ohne Wasser und ohne Luft zum Atmen?«
»Keine Ahnung, ich war ja nicht selbst da. Und den Sauerstoff haben wir von der Erde mitgenommen.«
»So wie ihr jetzt die Luft zum Atmen in euer Tauchboot presst. Stimmt es, dass ihr da oben zurzeit so ziemlich alles durcheinanderwirbelt?«
»Nun ja, das ist kompliziert zu erklären …«
»Wenn ihr so weitermacht, wie lange werdet ihr noch existieren? Eine Million Jahre?«
»Schwer zu sagen, eher weniger …«
»Das ist aber schade, ich hätte mich alle paar Millionen Jahre mal über einen kurzen Plausch gefreut.«
»Muss das denn so lange dauern? Und willst du denn gar nicht wissen, was da oben so alles los ist?«
»Nein, lieber nicht. Ich müsste womöglich viel zu viel nachdenken. Davon bekomme ich nur Migräne. Ich spüre schon jetzt den ersten Anflug. Da hilft nur eines!«
»Äh, was denn?«
»Kopfstand!«
»Kopfstand?«
»Genau. Also: Nett, dass ihr da wart. Macht’s gut und danke für den Fisch!«
»Welchen Fisch?«
»Na, den Fisch, den ihr an Leinen zu uns herunterlasst. Ach ja, könnt ihr denen da oben bitte Bescheid geben, dass sie den Fisch nicht mehr an Haken befestigen? Ein paar meiner Brüder und Schwestern haben sich darin verfangen.«
So sprach der Quastenflosser, der Methusalem unter den Tieren, stellte sich auf den Kopf und schwieg. Auch die Mannschaft im Tauchboot verstummte unter dem Eindruck der beklemmenden Atmosphäre, die
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